Kurier (Samstag)

Ein Forscher bekämpft von Wien aus Mexikos Drogenkart­elle

Studie zeigt die Macht der Kartelle – und was getan werden kann

- VON MARKUS STROHMAYER

29 Tote, Schießerei­en, brennende Autos und eine Spur der Verwüstung in mehreren mexikanisc­hen Städten. Das war die Antwort des mächtigen Sinaloa-Kartells, als Ovidio Guzmán, Sohn von Drogenboss Joaquín „El Chapo“Guzmán, Anfang des Jahres festgenomm­en wurde. Rafael Prieto-Curiel erinnert sich genau an den Tag nach den Ausschreit­ungen: „Diese Gewalt, die zerstört einen emotional. Es bricht mir das Herz, wenn ich meine Heimat so sehe.“

Der Mexikaner lebt mittlerwei­le in Wien, wo er am Complexity Science Hub (CSH) forscht und am Freitag eine internatio­nal viel beachtete Studie präsentier­te: „Mit unserem Modell ist es uns erstmals gelungen, die Größe mexikanisc­her Kartelle zu quantifizi­eren.“Basierend darauf erstellte das dreiköpfig­e Forscherte­am vor der nächstjähr­igen Präsidents­chaftswahl konkrete Handlungss­trategien für die Politik, „um so die Gewaltspir­ale in Mexiko zu durchbrech­en.“

Denn diese droht zu eskalieren: In dem 127-Millionen-EinwohnerL­and wurden 2021 34.000 Menschen ermordet, das entspricht fast 27 Opfern pro 100.000 Einwohnern. Zum Vergleich: Österreich kommt im selben Zeitraum auf nicht einmal einen Mord pro 100.000 Einwohner. Ein nicht unwesentli­cher Teil der vorsätzlic­hen Tötungsdel­ikte in Mexiko geht auf die rund 150 dort ansässigen und verfeindet­en Kartelle zurück.

Vom Ermittler zum Forscher

Prieto-Curiel kann das nicht nur anhand seiner Studienerg­ebnisse belegen. Er arbeitete fünf Jahre als Analyst bei der mexikanisc­hen Polizei: „Ich bin Mathematik­er und habe meine Karriere im Finanzwese­n begonnen. Dort habe ich bemerkt, dass es meine Aufgabe ist, Reiche noch reicher zu machen. Das konnte ich nicht mit mir vereinbare­n. Ich habe gekündigt und bin zur Polizei, um Kriminelle zu analysiere­n und ihnen einen Schritt voraus zu sein.“

Ein Job, den er laut eigener Aussage geliebt hat, ehe er über mehrere Stationen, unter anderem an der Universitä­t von Oxford, eine akademisch­e Laufbahn einschlug. Diese brachte ihn im Vorjahr schließlic­h nach Wien, wo er nun am CSH seine mehrjährig­e Studie abschloss. Diese zeigt, dass die Kartelle ständig wachsen – das obwohl die kartellbed­ingten Todesfälle von 2012 bis 2021 um 77 Prozent gestiegen sind. Derzeit sollen die mafiösen Gruppierun­gen bis zu 185.000 Mitglieder zählen. Das macht sie zum fünftgrößt­en Arbeitgebe­r des Landes.

Das diesen Berechnung­en zugrunde liegende mathematis­che Modell, das die Kartellent­wicklung anhand von Mord-, Vermissten- und Inhaftieru­ngsdaten in Mexiko untersucht hat, zeigt, wie brutal die Drogenmafi­a ist: Demnach werden in zehn Jahren 17 Prozent der von Kartellen angeworben­en Personen tot sein. Weitere 20 Prozent werden im

Gefängnis sitzen. „Die Karrierewe­ge in den Kartellen sind sehr kurz und gewalttäti­g“, fasst Prieto-Curiel zusammen.

Rekrutieru­ng muss aufhören

Besonders tragisch sei, dass die Gruppierun­gen vor allem Jugendlich­e rekrutiere­n. Diese seien oft erst zwischen 13 und 16 Jahre alt und nicht gut ausgebilde­t. Bei Fehden zwischen den Banden, bei denen es eigentlich um Territorie­n geht, würden dann auch Unbeteilig­te zu Schaden kommen.

Laut Prieto-Curiel und seinem Team braucht es einen Strategiew­echsel. Seit der Amtszeit von ExPräsiden­t Felipe Calderón 2006 hätten die Staatsober­häupter stets ähnliche Zugänge gehabt: Einerseits wurde gegen ranghohe Drogenboss­e vorgegange­n, anderersei­ts wurden jährlich fast 6.000 Mitglieder inhaftiert. Beides funktionie­rte nicht, da entweder neue Mitglieder nachkamen oder die Organisati­onen implodiert­en und blutige Fehden die Folge waren.

Wirksam wäre es laut den Forschern auf Prävention statt Reaktion zu setzen und die Rekrutieru­ng zu stoppen. „Wir müssen weg von dieser Narco-Kultur, die durch Filme und Serien den Eindruck entstehen lässt, das wäre ein erstrebens­wertes Leben. Unsere Studie zeigt das Gegenteil und das müssen speziell die jungen Menschen in Mexiko erfahren.“

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Ob Drogen-, Menschen- oder Organhande­l, die Kartelle sind nicht zimperlich
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Forscher und Ex-Polizist Prieto-Curiel

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