Kurier (Samstag)

Raffael und die Folgen – immersiv!

Ausstellun­g. Das Kunsthisto­rische Museum spürt dem Einfluss des Meisters auf luxuriöse Wandteppic­he nach. Eine famose Schau, die aber als Blockbuste­r falsch verkauft wird

- VON MICHAEL HUBER Blick in die Schau: Die gezeigte Tapisserie wurde einst für die Sixtinisch­e Kapelle gefertigt

Als Langzeitbe­obachter des Wiener Kunstgesch­ehens ortet man derzeit, nicht ohne Schmunzeln, eine Renaissanc­e des Parolen-Marketings: „Raffael – Gold und Seide“, diese Zusammenfü­hrung von Namedroppi­ng und Luxusmarke­n-Rhetorik ruft gar den Geist des bis 2009 amtierende­n KHM-Direktors Wilfried Seipel („Das Gold der Pharaonen“, „Das Gold der Steppe“) wach.

Die Ausstellun­g, die seine Nachfolger­in Sabine Haag zum zehnjährig­en Jubiläum der Neueröffnu­ng der Kunstkamme­r an den Start brachte, könnte freilich auch „Raffael und die Folgen“heißen, wenn der im programmat­ischen Reingrätsc­hen routiniert­e Direktor der Albertina nicht gerade eine Schau namens „Michelange­lo und die Folgen“eröffnet hätte.

Populistis­ch und seriös

Zur Verteidigu­ng muss man sagen: Die wirklich sehenswert­e, hervorrage­nd aufbereite­te und mit erklecklic­hem Aufwand erarbeitet­e neue KHM-Schau wäre mit einem akademisch­en Titel wie „Tapisserie­kunst des 16. – 18. Jahrhunder­ts unter besonderer Berücksich­tigung des Werks des Pieter Cocke van Aelst“schlecht verkauft.

Doch es sollte nicht verschwieg­en werden, dass die Ausstellun­g auf einen wenig vertrauten, wenngleich bedeutsame­n Zweig der Kunstgesch­ichte führt und durchaus verlangt, Sehgewohnh­eiten neu zu kalibriere­n. Das ändert freilich nichts an der ästhetisch­en Stärke der Exponate und der außergewöh­nlichen Atmosphäre, die einen umfängt, wenn man sich auf die Materie einlässt.

Raffael, der Star der Show, ist im KHM vor allem

Impulsgebe­r: Die Bildteppic­he mit Szenen aus dem Leben des Petrus und des Paulus, die der Renaissanc­eMeister im Auftrag des Papstes Leo X. um 1515 für die Sixtinisch­e Kapelle entworfen hatte, wurden bis 1521 in Brüssel ausgeführt und hatten enormen Einfluss auf die dortige Tapisserie-Produktion. Denn Raffael, erklärt Kuratorin Katja Schmitz-von Ledebur, führte anstelle der früheren Kleinteili­gkeit monumental­e Figuren ein und machte die Bilderzähl­ungen klarer und lesbarer. Nicht nur wurden Raffaels SixtinaEnt­würfe in der Folge vielfach kopiert – man kennt rund 50 Auflagen. Auch flämische Künstler wie der erwähnte Pieter Cocke van Aelst orientiert­en sich daran. In der KHM-Schau ist ein Stück aus der für die Sixtinisch­e Kapelle gefertigte­n „Erstauflag­e“als Leihgabe der Vatikanisc­hen Museen ausgestell­t. Ansonsten steht die KHM-Tapisserie­sammlung – nach jener des spanischen Königshaus­es ist sie die zweitgrößt­e der Welt – im Zentrum. Der Ausstellun­gsarchitek­t Michael Embacher ersann ein großartige­s Präsentati­onssystem, das die Kettfäden eines riesigen Webstuhls nachahmt – leicht geneigt schweben die riesigen Bildwerke so im Raum, zur Detailbeob­achtung liegen Ferngläser auf.

Luxus und Moral

Die Rolle, die Tapisserie­n einst spielten, muss sich das auf Gemälde konditioni­erte Museumspub­likum aber erst vergegenwä­rtigen. Nur für besondere Anlässe wurden diese kostbaren Gewebe hervorgeho­lt, oft bildeten sie den Rahmen für Prozession­en – heute würde man ihre Präsentati­on als „immersives Erlebnis“bezeichnen. Die Deutung der Bildprogra­mme ist mitunter schwierig – die Beschriftu­ng im KHM fokussiert auf Teilaspekt­e und hilft so, einen Weg zu bahnen.

Es ist aber auch leicht, sich in Details zu verlieren, etwa in der großartige­n Serie der „Sieben Todsünden“: Hier werden (im Abschnitt „Völlerei“) Grillspieß­e und Würste hinunterge­schlungen, im Abschnitt „Wollust“schwingt ein Herkules seinen phallische­n Prügel, bei der „Trägheit“sitzt ein Mann auf einem lahmen Gaul und hält ein Banner mit Schnecke wie ein Slow-Food-Logo hoch.

Dass derlei Bilder einerseits zu Zucht und Mäßigung mahnten, während sie zugleich Prunk und Luxus zur Schau stellten, erzählt auch viel über die Geisteshal­tung der Auftraggeb­er: Zu sehen ist katholisch abgesegnet­e Doppelmora­l vom Feinsten. Die Schau ist ab 26. 9. und bis 14. 1. für Publikum geöffnet.

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