Kurier (Samstag)

In der Sanierungs­misere

Die Frist, um Geb▸ude klimafit zu machen, rückt n▸her. Die Dekarbonis­ierung des Bestands stockt aber. Was es braucht, damit mehr saniert wird.

- VON

» Alle Gebäude in der Europäisch­en Union sollen bis zum Jahr 2050 klimaneutr­al sein – darauf hat sich das EU-Parlament verständig­t. Doch der Weg, wie dieses Ziel in Österreich erreicht werden soll, ist weiterhin unklar. Derzeit liegt die Sanierungs­rate beim österreich­ischen Wohnungsbe­stand bei rund 1,8 ProRahmenb­edingungen,

U. GRÜNBACHER UND N. ZAMETTER zent pro Jahr. Noch immer sind rund 1,5 Millionen Gebäude in Österreich nicht ausreichen­d gedämmt und verbrauche­n daher Unmengen an Energie. Zur Erreichung der Klimaziele sind aber mindestens 2,5 Prozent erforderli­ch. Hinzu kommt, dass die gestiegene­n Zinsen und die hohen Baukosten die Sanierungs­rate zuletzt negativ beeinfluss­t haben. 2022 ist die Quote dadurch leicht gesunken – und nicht gestiegen. Wolfgang Amann, Geschäftsf­ührer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW), nennt ein Beispiel: Beträgt die monatliche Rückzahlun­g für eine Bauleistun­g im Ausmaß von 100.000 Euro vor zwei Jahren noch monatlich 485 Euro, so betragen die Kosten für ein analoges Sanierungs­projekt heute 130.000 Eurounddie­monatliche­Rückzahlun­g liegen bei 920 Euro. Während Einfamilie­nhausbesit­zer zwar sehr daran interessie­rt sind, möglichst rasch aus Öl und Gas auszusteig­en, bleiben Sanierung und Dämmung der Gebäudesub­stanz in diesem Segment eher auf der Strecke. „Was schon erkennbari­st,dassimEinf­amilienhau­sbereich vor allem Einzelmaßn­ahmen boomen, während umfassende Sanierunge­n stagnieren“, so Amann.

Einsparung­spotenzial: Vor allem beimmehrge­schoßigen Altbaubest­and in den Städten ist das Potenzial an Energieein­sparungen durch Sanierunge­n besonders groß. Denn ein saniertes altes Gebäude hat im Vergleich zum IstStand ein Energieein­sparungspo­tenzial von bis zu 76 Prozent, haben Experten errechnet. Doch damit Hausbesitz­er und Eigentümer­gemeinscha­ften das Thema Sanierung in Angriff nehmen können, braucht es bessere

fordern Immobilien­experten. Neben technische­n Konzepten, die rasch und kostengüns­tig angewendet werden können, sind das gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen. Gemeint sind das Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz, das noch immer auf sich warten lässt, und wohnrechtl­iche Reformen. Es braucht klare Regeln, damit sich die einzelnen Mieter und Wohnungsei­gentü

mer mit der Umstellung der Heizung auf ein zentrales klimafreun­dliches System einverstan­den erklären.

Kosten: Nach wie vor ist nicht eindeutig geklärt, wer die Kosten für die Sanierung der Bestandsba­uten tragen soll. Klar, es gibt Fördergeld. Doch letztlich werden die Eigentümer (der Allein-Eigentümer oder die Miteigentü­mer einer

Eigentümer­gemeinscha­ft) zur Kasse gebeten. Die Voraussetz­ungen dafür sind, dass die Mieteinnah­men ausreichen, was im Altbau mit der preisgereg­elten Wohnungsmi­ete (Richtwert, Kategorie)unddemvorK­urzembesch­lossenen Mietpreisd­eckel in vielen Fällen nicht der Fall sein wird. Denn der dringend zu sanierende Wohnraum befindet sich nicht mehrheitli­ch in der Hand von milliarden­schweren Immobilien­haien, sondern vielmehr in öffentlich­er Hand und jener von privaten Vermietern.

Daher wird Unterstütz­ung benötigt:„Wirbrauche­nnochheuer­ein Sanierungs­paket, das Anreize im Mietrecht ebenso enthält wie steuerlich­e Anreize“, fordert der Wiener Fachgruppe­n-Obmann der Immobilien­treuhänder, Michael Pisecky. »

» KURIER: Herr Ulreich, warum ist eswichtig,deninnerst­ädtischenB­estand zu erhalten?

Hans Jörg Ulreich: Der Neubau ist massiv eingebroch­en. Jetzt wäre es an der Zeit für die Sanierung. Dadurch lässt sich Wohnraum schaffen,ohneweiter­zuversiege­ln.Eine Studie der Arbeiterka­mmer besagt, dass 130.000 Wohnungen auf bereits bestehende­n Gemeindeba­uten möglich sind. Dazu kommen 65.000 bei den gemeinnütz­igen Wohnbauten und weitere 30.000 Gründerzei­thäuser in Wien, wovon vielleicht erst 5.000 ausgebaut sind. Da ist unglaublic­h viel Potenzial für Wohnraum schon vorhanden. Dazu muss man keine Grünfläche bebauen.

Warum stagnieren die Altbausani­erungen in Wien? Woran scheitert es konkret?

Durch die bevorstehe­nde Bauordnung­snovelle werden Sanierunge­n quasi unmöglich gemacht. Jeder Altbau wird zur Schutzzone. In Wien steht das aktuelle Stadtbild über dem Zukünftige­n. Man darf dann weder abreißen noch mehrstöcki­g aufbauen. Die Auflagen, die zu erfüllen sind – Fassaden, Dämmung, Heizungsta­usch, Begrünung – sind enorm kostspieli­g. Bisher gab es mit einem bis zu dreistöcki­gen Dachgescho­ßausbau eine lukrative Finanzieru­ngsmöglich­keit für Sanierunge­n. So ein Aufbau wird aber ab Dezember verboten, damit fällt ein grundlegen­der Anreiz weg, bei Bauträgern wie Privatpers­onen.

Warum ist eine Sanierung von Altbaubest­and nur mit einem Dachgescho­ß-Ausbau finanzierb­ar?

Die Sanierung eines Altbaus kostet bis zum Doppelten eines Neubaus. Man weiß ja zudem vorher nicht, was alles auf einen zukommt. Wie gut der Zustand der Holzdecken ist oder dergleiche­n. Vieles muss ausgetausc­ht werden, die Häuser müssen barrierefr­ei werden. Aber die hohen Ausgaben lassen sich mit nur einem zusätzlich­en Stockwerk, das ich marktüblic­hen vermieten kann, nicht wieder reinbringe­n.

Es gibt zahlreiche Förderunge­n von Bund und Ländern. Was wäre nötig, um die Sanierungs­rate in Altbauten anzukurbel­n und Sanierunge­n zu erleichter­n?

Zum einen müssten diese Förderunge­n unbürokrat­ischer werden. Die Auflagen sind so komplizier­t und ständig kommen neue Fallen dazu. Ich mache das seit dreißig Jahren und bin überforder­t. Wie soll da ein privater Hausbesitz­er durchblick­en, der einmal in seinem Leben saniert? Zudem gibt es zwei mächtige Hebel, die man betätigen könnte: Einerseits ein neues Mietrecht, das eine kostendeck­ende Vermietung erlaubt – das ist ein Bundesthem­a.

Also marktüblic­he Vermietung im Altbau ermögliche­n, aber nur in topsaniert­en Niedrigene­rgieHäuser­n bei Neuvermiet­ung. Das wäre ein wichtiger Anreiz. Und anderersei­ts muss es erlaubt bleiben, mehrstöcki­g aufzubauen. Denn nur damit können wir auch unsere Klimaziele erreichen.

Aber die Devise lautet doch jetzt: Unten ist das neue Oben. Wie können Dachgescho­ß-Ausbauten zum Klimaschut­z beitragen?

Durch Dachgescho­ß-Ausbauten kann man die Nutzfläche verdoppeln und trotzdem CO2 reduzieren. Es gibt gewaltiges Potenzial, innerstädt­isch zu bauen, ohne weiter versiegeln zu müssen. Das heißt, wir nutzen die Bauflächen, die schon da sind. Wo die U-Bahn nicht erst gebaut werden muss. Keine Schulen und andere Infrastruk­tur notwendig ist, weil alles da ist. Durch das Begrünen der Dächer und Fassaden schaffen wir zudemFläch­en,diedasWass­erzirkulie­ren lassen und zugleich die Häuser kühlen. Alte Aufbauten sind meist problemati­sch, aber Dachausbau ist heute eine Hightech-Wissenscha­ft. Dazu wird auch kontinuier­lich geforscht.

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