Politische Passivität kann lohnend sein
Politiker, die sich nicht an harten Reformen oder TV-Auftritten den Mund verbrennen, können beim Bürger punkten
Dieses Phänomen taucht nicht selten auf: Je passiver ein Politiker ist, desto beliebter ist er/sie. Man eckt nicht an, und die Öffentlichkeit bekommt eh nicht mit, was alles liegen bleibt. Siehe Justizministerin Zadić. Sie hat zwar (auf öffentlichen Druck) nun ein neues Kinderschutzprogramm vorgelegt. Ansonsten werden große Reformen eher weggelächelt. Es gibt Konflikte und offenbar teilweise ein System der Angst und Vernaderung im Justizapparat, unbesetzte Planstellen, Indiskretionen aus Justiz-Akten sowie überlange Verfahren, die fast politisch motiviert wirken und oft im Sand verlaufen, die Betroffenen aber mit Reputations- und Finanzschaden zurücklassen, selbst bei einem Freispruch.
In der Opposition kann Abtauchen ebenfalls ein Erfolgsrezept sein. Das gilt nicht für „Neue“wie Andreas Babler, der gerade seine „Pflöcke“einschlägt und als Nicht-Regierungspartei alles fordert, was gut und teuer ist. Bis zum Regierungseintritt interessiert eh niemanden mehr das Geschwätz von gestern. Herbert Kickl hingegen kann sich Passivität leisten – und auch den Auftritt im „Puls 24-Bürgerforum“absagen. Je seltener er Interviews in klassischen Medien gibt, desto besser für die Partei (wenn auch nicht für seine persönlichen Beliebtheitswerte). Die FPÖ hat ja schon früh ihre eigenen „alternativen“Kanäle (inklusive neuem „FPÖ-TV“) für ihre Botschaften aufgebaut. Trump ist Vorbild.
Am allerbeliebtesten sind Politiker natürlich erst nach ihrem Abgang. Ist zum Beispiel Angela Merkel eine Ikone?
Jein. Ihre Nachfolger kämpfen mit manchem ihrer Fehler und, ja, auch mit ihrer Passivität, etwa, was nötige Investitionen in Infrastruktur und Arbeitsmarkt betraf. Sie selbst lebte jahrelang von den harten Sozialreformen ihres Vorgängers Gerhard Schröder von der SPD recht gut.
Wie es ja überhaupt ein Phänomen ist, dass Korrekturen des Sozialsystems leichter von Sozialdemokraten umgesetzt werden können. Sie müssen laute Gewerkschaftsproteste kaum fürchten (solidarisieren sich aber in der Opposition – siehe Babler – gern komplett mit den Arbeitnehmervertretern). So konnte die konkursreife Verstaatlichte seinerzeit nur von einem SPÖ-Kanzler privatisiert und gerettet werden, und auch die Vermögenssteuer hat ein SPÖ-Finanzminister abgeschafft. Aber „Blumentopf“gewinnt man dafür eher keinen. Schröder wurde seinerzeit abgewählt. Wolfgang Schüssel auch. Das war warnendes Beispiel genug für Sebastian Kurz, um einer Pensionsreform aus dem Weg zu gehen. Sein Nachfolger Karl Nehammer hat Wirtschaftsminister Martin Kocher mit überfälligen Arbeitsmarktreformen scheitern gesehen. Der Professor wird sich genau ein Jahr vor der Nationalratswahl nicht mehr die Finger verbrennen (dürfen), was seine Beliebtheit aktuell gerade steigen lässt. Das Notwendige zu unterlassen, wird leider allzu oft belohnt.