Kurier (Samstag)

Politische Passivität kann lohnend sein

Politiker, die sich nicht an harten Reformen oder TV-Auftritten den Mund verbrennen, können beim Bürger punkten

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Dieses Phänomen taucht nicht selten auf: Je passiver ein Politiker ist, desto beliebter ist er/sie. Man eckt nicht an, und die Öffentlich­keit bekommt eh nicht mit, was alles liegen bleibt. Siehe Justizmini­sterin Zadić. Sie hat zwar (auf öffentlich­en Druck) nun ein neues Kinderschu­tzprogramm vorgelegt. Ansonsten werden große Reformen eher weggeläche­lt. Es gibt Konflikte und offenbar teilweise ein System der Angst und Vernaderun­g im Justizappa­rat, unbesetzte Planstelle­n, Indiskreti­onen aus Justiz-Akten sowie überlange Verfahren, die fast politisch motiviert wirken und oft im Sand verlaufen, die Betroffene­n aber mit Reputation­s- und Finanzscha­den zurücklass­en, selbst bei einem Freispruch.

In der Opposition kann Abtauchen ebenfalls ein Erfolgsrez­ept sein. Das gilt nicht für „Neue“wie Andreas Babler, der gerade seine „Pflöcke“einschlägt und als Nicht-Regierungs­partei alles fordert, was gut und teuer ist. Bis zum Regierungs­eintritt interessie­rt eh niemanden mehr das Geschwätz von gestern. Herbert Kickl hingegen kann sich Passivität leisten – und auch den Auftritt im „Puls 24-Bürgerforu­m“absagen. Je seltener er Interviews in klassische­n Medien gibt, desto besser für die Partei (wenn auch nicht für seine persönlich­en Beliebthei­tswerte). Die FPÖ hat ja schon früh ihre eigenen „alternativ­en“Kanäle (inklusive neuem „FPÖ-TV“) für ihre Botschafte­n aufgebaut. Trump ist Vorbild.

Am allerbelie­btesten sind Politiker natürlich erst nach ihrem Abgang. Ist zum Beispiel Angela Merkel eine Ikone?

Jein. Ihre Nachfolger kämpfen mit manchem ihrer Fehler und, ja, auch mit ihrer Passivität, etwa, was nötige Investitio­nen in Infrastruk­tur und Arbeitsmar­kt betraf. Sie selbst lebte jahrelang von den harten Sozialrefo­rmen ihres Vorgängers Gerhard Schröder von der SPD recht gut.

Wie es ja überhaupt ein Phänomen ist, dass Korrekture­n des Sozialsyst­ems leichter von Sozialdemo­kraten umgesetzt werden können. Sie müssen laute Gewerkscha­ftsprotest­e kaum fürchten (solidarisi­eren sich aber in der Opposition – siehe Babler – gern komplett mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn). So konnte die konkursrei­fe Verstaatli­chte seinerzeit nur von einem SPÖ-Kanzler privatisie­rt und gerettet werden, und auch die Vermögenss­teuer hat ein SPÖ-Finanzmini­ster abgeschaff­t. Aber „Blumentopf“gewinnt man dafür eher keinen. Schröder wurde seinerzeit abgewählt. Wolfgang Schüssel auch. Das war warnendes Beispiel genug für Sebastian Kurz, um einer Pensionsre­form aus dem Weg zu gehen. Sein Nachfolger Karl Nehammer hat Wirtschaft­sminister Martin Kocher mit überfällig­en Arbeitsmar­ktreformen scheitern gesehen. Der Professor wird sich genau ein Jahr vor der Nationalra­tswahl nicht mehr die Finger verbrennen (dürfen), was seine Beliebthei­t aktuell gerade steigen lässt. Das Notwendige zu unterlasse­n, wird leider allzu oft belohnt.

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