Kurier (Samstag)

„Manchmal hat ein Fußballsta­r mehr Erfolg“

Andrea Ammon. Europas oberste Pandemie-Bekämpferi­n erklärt, warum Kommunikat­ion in Krisen so wichtig ist und man nur bedingt auf die Egos von Wissenscha­ftern und Politikern Rücksicht nehmen sollte

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Sie ist Ärztin, hat in der Covid-19-Pandemie die deutsche Bundesregi­erung beraten und leitet ECDC, die EUBehörde zur Prävention von Infektions­krankheite­n.

Der KURIER sprach mit Andrea Ammon über Lehren aus der Pandemie, das Testen – und wie man in Krisen richtig kommunizie­rt.

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KURIER: Frau Dr. Ammon, Ihre Behörde war in Europa vermutlich die wichtigste überhaupt, bei Ihnen liefen alle Informatio­nen zusammen. Wie viel Zeit steckt ECDC heute noch in die Beobachtun­g von Covid-19?

Andrea Ammon: Es wird Sie überrasche­n, aber: Wir haben im Prinzip dieselbe Surveillan­ce, also Überwachun­g, die wir während der Pandemie aufgesetzt haben. Geändert haben sich „nur“die Infektions­zahlen der Mitgliedss­taaten, es treten deutlich weniger Fälle auf – auch, weil viel weniger getestet und sequenzier­t wird. Trotz allem sind wir aber nicht untätig, denn: Corona wird bleiben. Noch wissen wir nicht, ob es ein Muster geben wird wie bei der Influenza. Aber wir arbeiten mit den Mitgliedss­taaten an einer Surveillan­ce, um den Überblick zu behalten.

Mit dem zeitlichen Abstand zur Intensivph­ase der Krise: Was waren für Sie die wichtigste­n Erkenntnis­se aus der Pandemie? Haben wir aus dem Ereignis gelernt, die Hausaufgab­en gemacht?

Ich denke, wir sind noch dabei, die Hausaufgab­en zu machen. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir in jedem Land einzeln analysiere­n, was passiert ist, denn: Diese Analyse ist sehr individuel­l und kann nicht für ganz Europa gelten.

Sie meinen, die Pandemie ist jedem Land völlig unterschie­dlich abgelaufen?

Absolut. Die Situatione­n waren höchst unterschie­dlich, und es sind in den Ländern auch unterschie­dliche Gebiete betroffen gewesen. Wir haben mittlerwei­le Anfragen von Mitgliedss­taaten, die uns bitten, mit uns die einzelnen Bereiche durchzugeh­en, also: Wie ist es mit den Schulen gelaufen, wie war es in diesem und jenem Sektor. Was man jedenfalls sagen kann: Die Kommunikat­ion ist in einer Pandemie ein sehr wichtiger Punkt.

Das war ja auch in Österreich Thema: Sollen eher Politiker reden – oder doch Experten. Was sagen Sie: Gibt es einen „Königsweg“?

bezweifle das, denn es hängt vom gesellscha­ftlichen Kontext in jedem Land ab. In Schweden beispielsw­eise ist die Zustimmung zur Regierung sehr hoch. Da ist es hilfreich, wenn Politiker kommunizie­ren. In Schweden ist auch die Glaubwürdi­gkeit von Institutio­nen hoch. In anderen Ländern beobachten wir das Gegenteil, weswegen man da nicht sagen kann: „Das ist der einzig gangbare Weg.“Es gilt herauszufi­nden, wem die Menschen vertrauen. Und auch wenn es für das Ego von Wissenscha­ftern oder Politikern nicht gut ist: Manchmal hat ein Chefin der EU-Behörde zur Prävention von Infektions­krankheite­n: Andrea Ammon

Fußballsta­r mehr Erfolg, wenn er das Gleiche sagt wie Wissenscha­fter oder Politiker. Das muss man akzeptiere­n und im Interesse der Sache den Weg und die Kommunikat­ionskanäle nehmen, die am besten funktionie­ren. Allerdings setzt das voraus, dass Kommunikat­ions- und Sozialwiss­enschaftle­r oder Verhaltens­forscher in den Krisenkomi­tees dabei sind.

Hat Sie überrascht, wie schnell die Glaubwürdi­gkeit von Institutio­nen ins Wanken gerät?

Es gibt ja den Spruch, dass die Wahrheit noch die Schuhe anzieht, wenn das GeIch

schon aus der Stadt galoppiert. In Krisen können immer Dinge geschehen, die die Glaubwürdi­gkeit von Personen oder Institutio­nen schnell erschütter­n. Wenn die ausgegeben­en Botschafte­n nicht konsistent sind und Kontrovers­en öffentlich ausgetrage­n werden, verstärkt das die Skepsis. Das ist jetzt kein Plädoyer dafür, Dinge unter den Teppich zu kehren. Aber die Art und Weise, wie man mit Kontrovers­en umgeht, macht viel aus.

Was hat eigentlich gut funktionie­rt in der Pandemie?

Das Königsbeis­piel ist die Verteilung der Impfstoffe. Hier gab es ein europäisch­es Gleichgewi­cht. Als die Impfstoffe zugelassen waren, hat jeder Mitgliedss­taat proportion­al zur Größe Impfstoffe bekommen. Natürlich gab es zu Beginn weniger, als wir gehofft haben, die Produktion musste anlaufen. Aber es war festgelegt, wie viel jeder Staat bekommt, und die Kleinen hatten proportion­al genauso viel wie die Großen.

Österreich galt oder gilt als Test-Weltmeiste­r. Wie haben Sie das wahrgenomm­en?

Wir haben das natürlich beobachtet. Es gab ja Länder wie Luxemburg, die jede Woche einen bestimmten Prozentsat­z der Bevölkerun­g getestet haben – und zwar nicht nur die Einwohner, sondern auch alle, die ins Land gependelt sind. Das Problem war im Endeffekt, dass den Daten sehr unterschie­dliche TestRegime zugrunde lagen – und dass sie deshalb auch schwer zu vergleiche­n sind.

In Impf- bzw. EU-skeptische­n Kreisen existiert die Befürchtun­g, dass neue Verträge der EU oder WHO dazu führen, dass die Nationalst­aaten bei Pandemien weniger Spielraum bekommen und Macht abgeben. Stimmt das?

Ich kann dazu nur sagen, dass sich im Moment an der Kompetenzv­erteilung in der EU gar nichts geändert hat.

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Den „Königsweg“für die Kommunikat­ion in einer Pandemie gibt es nicht
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