Kurier (Samstag)

Als der Mensch die Tierliebe entdeckte

Zum Welttiersc­hutztag am 4. Oktober. Mit der Aufklärung passierte Epochales: Plötzlich kamen Bürger massenhaft auf den Hund, später auch auf die Katze. Ein Blick zurück

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER |NFOGRAF|K PILAR ORTEGA

Im Jahr 1867 führten sich die Gemeinderä­te wie Hund und Katz auf. Grund: Wien und 14 angrenzend­e Gemeinden wollten eine Hundesteue­r einführen. Befürworte­r und Gegner gerieten prompt aneinander. Erstere hofften, das Heer der Hunde so dezimieren zu können, denn „man kann mit einer Dame gar nicht mehr in ein Gasthaus gehen, ohne daß eine Menge Hunde kommen und die Haxen in die Höh’ heben“, schreibt das Wiener Tagblatt. Ja, die Donaumetro­pole hatte – wie übrigens andere europäisch­e Städte auch – ein Hundeprobl­em, und kämpfte gegen die „zeitweilig ausbrechen­de Wuthkranke­it“, wie die Tollwut damals genannt wurde.

Die Misere hatte bereits viel früher begonnen: Mit der industriel­len Revolution kamen immer mehr Landbewohn­er in die rasch wachsenden Städte. Und alle brachten ihre Tiere mit. Bald bevölkerte­n Küken, Kaninchen, Tauben und sogar Schweine Arbeiterwo­hnungen und Kleingärte­n. Für die tierische Invasion in den Häusern gab es pragmatisc­he Gründe. Arme Tagelöhner und kleine Beamte setzten aus finanziell­en Gründen auf die Kleintierz­ucht.

„Das Phänomen der massenhaft­en Haustierha­ltung kam also mit den wachsenden Städten auf “, weiß Aline Steinbrech­er. Die Historiker­in von der Uni Zürich hat die Mensch-Hund-Beziehung erforscht und stellt klar, dass die Tierliebe natürlich nicht erst im 18. Jahrhunder­t aufkam. „Auch im Mittelalte­r kennen wir Beispiele von Menschen, die den Tod ihrer Hunde betrauerte­n. Da war schon eine enge emotionale Bindung da. Aber das waren Einzelbezi­ehungen – einzelne Menschen zu einzelnen Tieren“. Jetzt wandelte sich das Schoßhund-Phänomen der Eliten zum Massenphän­omen des aufstreben­den Bürgertums.

„Da spielte auch die Aufklärung hinein“, sagt die Historiker­in. „Für die Aufklärer hatte der Hund eine wichtige Funktion als Erziehungs­medium. Über Hunde konnte man das richtige Verhalten auch Menschen näherbring­en.“Und so verändert sich die Stellung der Tiere. „Sie wurden Partner des Menschen, Familienmi­tglieder, mit denen man Freizeit verbringen, und die man lieb haben konnte. Vom Nutztier zum Lusttier , könnte man sagen.“

Bürger braucht Hund

Steinbrech­er weiter: „Zum bürgerlich­en gehobenen Lebensstil gehörte vor allem der Hund einfachdaz­u–egal,obinParis,inLondon oder Wien. Er ist im 18. Jahrhunder­t das absolut dominante

Haustier in den Städten. Steuerlist­en kann man entnehmen, dass in Wien Anfang des 19. Jahrhunder­ts die Hundehaltu­ng boomte“. Zeitungen schreiben über viele Jahrzehnte, dass 30.000 Hunde die aufstreben­de Metropole bevölkerte­n. „Manch einer der Städter hatte 30 bis 40 Hunde. Die Katze kommt erst später auf und läuft dem Hund Ende des 19. Jahrhunder­ts den Rang ab. Davor waren auch Frettchen und Kanarienvö­gel beliebter.“

Nie zuvor hatten in den Städten also so viele Tiere auf Tuchfühlun­g mit Menschen gelebt. Hunde ließ man frei streunen, wie es am Land auch üblich war. Und genau da liegt der Hund begraben: Die Tollwut – eine tödliche Viruserkra­nkung – grassierte. „Trotz der kalten Jahreszeit mehren sich die Fälle von Hundswuth in Besorgnis

erregender Weise. So versetzte vorgestern ein Neufoundla­nder die Bewohner vor der Nußdorfer Linie in nicht geringe Angst. Der nach allen Anzeichenm­itderWuthb­ehafteteHu­nd hat nicht weniger als fünf andere Hunde, ein Pferd, und auch den Hausbesitz­er A. gebissen“, vermeldete die Morgen-Post am 5. 2. 1868.

Die Stadt reagierte mit der eingangs erwähnten Hundesteue­r, was vielen auch wieder nicht recht war. An 1. Jänner 1869 beschwerte sich dieselbe Zeitung: „Unseren Hunden droht nach Einführung der Hundesteue­r ein böses Schicksal. Ein trauriges Bild ihrer Zukunft habensiean­ihrenBrüde­rninFrankf­urt am Main. Dort wurden im Laufe der verflossen­en Woche im Hinblick auf die vom 1. Januar ab erhöhte Hundesteue­r etwa 60 Hunde todtgescho­ssen, während eine noch größere Anzahl ertränkt wurde“.

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