Kurier (Samstag)

Wiederentd­eckt am Ende eines langen Wegs

Raubkunst. Das Leopold Museum einigte sich mit Erben des Arztes Oskar Reichel – und erwarb ein Selbstbild­nis von Max Oppenheime­r. Kommende Woche wird es erstmals nach 110 Jahren öffentlich gezeigt

- VON MICHAEL HUBER

Es war offenbar ein wichtiges Bild für den Maler Max Oppenheime­r. 1911 hatte er sein Selbstport­rät gemalt, mit eindringli­chem Blick wie ein Schmerzens­mann und einer fast zombiemäßi­g anmutenden Hand. Es war ein Zeugnis der intensivst­en Zeit, die Oppenheime­r mit Egon Schiele verbracht hatte: Seite an Seite hatten die beiden Künstler im Winter 1910/’11 in Schieles Atelier gearbeitet.

In der Oppenheime­rWerkschau des Leopold-Museums, die kommenden Donnerstag eröffnet, wird das Bild nach langer Zeit zu sehen sein – als Neuzugang der Museumssam­mlung. Vorangegan­gen war dem eine Einigung mit Nachkommen des einstigen Besitzers, der einer der zentralen Sammler und Ermögliche­r des Expression­ismus in Österreich gewesen war: Oskar Reichel. Er wurde 1938 von den Nazis enteignet. Während Teile von Reichels Sammlung restituier­t oder abgegolten wurden, zeigt der Fall des Oppenheime­r-Bilds, wie oft Raubkunst weiterhin unentdeckt bleibt.

Seelenbild­nis

1911 hatte der Künstler sein Selbstport­rät in München präsentier­t. In einem Buch, das ebenfalls 1911 erschien, fand sich schon der „Besitzer Dr. Oskar Reichel, Wien“verzeichne­t. Zuletzt sah man es 1913 öffentlich in der Galerie

Kauf

Miethke: Es war das erste Mal, dass ein Privatmann, der erfolgreic­he Internist Reichel, seine Sammlung so umfassend präsentier­te.

Das Leopold Museum, selbst aus der Privatsamm­lung eines Augenarzte­s hervorgega­ngen, suchte im Vorfeld seiner Oppenheime­rSchau nach „verscholle­nen“Gemälden. Tatsächlic­h tauchte das Selbstport­rät im April 2023 in einer Auktion bei Sotheby’s in Köln auf: Auf nicht ganz geklärtem Weg war es in den Besitz der Grazer Opernsänge­rin Dorit Hanak-Tscharré gelangt. Sie war am 23. Oktober 2021 verstorben.

„Sorgfaltsp­flicht erfüllt“

Die Provenienz aus der Sammlung Oskar Reichel wurde im Auktionska­talog genannt. Man habe in Archiven und Verlustdat­enbanken recherchie­rt, heißt es auf KURIER-Nachfrage. „Unsere Recherchen und das Feedback aller Beteiligte­n führten zu dem Ergebnis, das Werk in der Auktion anbieten zu können“, schreibt eine Sotheby’sSprecheri­n. „Nachdem Ansprüche dann doch kurz vor der Auktion erhoben wurden, haben wir das Werk zurückgezo­gen.“Das Auktionsha­us sei seiner Sorgfaltsp­flicht „in Gänze nachgekomm­en.“

Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums, war von Experten davor gewarnt worden, mitzusteig­ern. 2010 waren drei Werke des Malers Anton Romako

aus Leopold-Bestand als Teil der geraubten Sammlung Reichel identifizi­ert worden, das Museum erzielte 2011 eine Einigung mit den Erben.

Reichel hatte auch mit Kunst gehandelt. Dass das nun vorliegend­e Bild Raubkunst war, ergab sich aber aus einer Vermögensa­ufstellung, die der Schätzmeis­ter Amatus Caurairy am 25. Juni 1938 in Reichels Döblinger Villa erstellt hatte. Neben Gemälden

Auto-Ankauf von Kokoschka und Romako – Reichel hatte sich um dessen Wiederentd­eckung verdient gemacht – findet sich darin auch ein „Selbstport­rät des Malers Oppenheime­r“, geschätzt auf 40 Reichsmark.

Über die Summe, die das Leopold Museum nun für den Erwerb und die Entschädig­ung aufwendete, wurde Stillschwe­igen vereinbart. Man habe „eine für alle Seiten schöne Lösung“gefunden, sagt Wipplinger. Nicht zuletzt, weil es im Sinne der Nachfahren sei, dass die Werke öffentlich zugänglich sind. Reichels Sohn Raimund, nach Südamerika geflohen und 1982 nach Wien zurückgeke­hrt, hatte bereits 1988 ein Bild, das Oppenheime­r von ihm und seiner Mutter gemalt hatte, dem mumok geschenkt.

behütete Kindheit in einer Villa auf dem Gelände des Sanatorium­s Purkersdor­f endete abrupt mit Hitlers Einmarsch und zwang die jüdische Familie zu einer abenteuerl­ichen Flucht aus Europa.

„Bei uns zu Hause war immer von Onkel Emile in Amerika die Rede“, erzählt Rainer Frimmel, dessen Vater zu Emile ein enges Verhältnis pflegte: „Ich habe mich spät entschloss­en, ihn zu besuchen, was mir heute leidtut. Als es dazu kam, hat er sich wahnsinnig gefreut und mich mit offenen Armen empfangen.“

Frimmel stattete Emile Zuckerkand­l, einem pensionier­ten Evolutions­biologen mit Wohnsitz in Palo Alto, ab 2010 bis zu dessen Tod 2012 mehrere Besuche ab. Danach blieb das gedrehte Material liegen, ehe es auf Betreiben von Tizza Covi, die den akkuraten Schnitt übernahm, zu seiner jetzigen Form fand.

Sprung aus dem Fenster

Im Gespräch mit seinem Großneffen lässt Emile Zuckerkand­l in wunderschö­nem Altwieneri­sch seine Erinnerung­en aufleben – an Berta Zuckerkand­l, die ein „seelensgut­er Mensch“war oder an ihren Lieblingsg­ast Egon Friedell, ein „unglaublic­h witziger Mann“, der aber seine „Sünde, die Nazis unterschät­zt zu haben“, mit einem Sprung aus

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