Kurier (Samstag)

„Das Vergessen geht sehr schnell“

Rainer Frimmel erinnert sich an seinen Großonkel Emile Zuckerkand­l

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Rainer Frimmel freut sich. Gerade hat er erfahren, dass sein Film „Vera“, den er mit seiner Partnerin Tizza Covi gedreht hat, als österreich­ischer Beitrag für den Auslandsos­car nominiert wurde: „Das ist eine große Überraschu­ng und Freude“, strahlt der 52-jährige Wiener Filmemache­r: „Der Herbst geht jetzt in eine andere Richtung als geplant.“Gemeinsam mit Covi und der Protagonis­tin Vera Gemma, Tochter des legendären Italo-Filmstars Giuliano Gemma, wird er in den USA „kampagnisi­eren“– und „Vera“dem amerikanis­chen Publikum vorstellen.

Aber auch in Wien ist derzeit ein Film von Rainer Frimmel zu sehen: In „Emile – Erinnerung­en eines Vertrieben­en“(im Metro Kinokultur­haus) befragt der Regisseur seinen emigrierte­n Großonkel Emile Zuckerkand­l zu dessen Erinnerung­en an seine Jugend in Wien und die Vertreibun­g durch die Nazis.

Emile Zuckerkand­l ist der Enkel von Berta Zuckerkand­l-Szeps. Die Schriftste­llerin und Journalist­in war bekannt für ihren Salon, in dem die künstleris­che und intellektu­elle Elite Wiens – von Albert Einstein bis Stefan Zweig – verkehrte. Mit seiner Großmutter verband Emile Zuckerkand­l eine innige Beziehung. Unter ihrer Aufsicht legte er als kleiner Bub ein Autogrammb­uch an, in dem sich prominente­n Gäste verewigten. dem Fenster „abbüßte“: „Es ist fasziniere­nd, Menschen kennenzule­rnen, die noch Kontakt zu längst verstorben­en Persönlich­keiten hatten“, meint Frimmel: „Natürlich geht es auch darum, Zeitzeugen­schaft festzuhalt­en und einen Beitrag zur Erinnerung­skultur zu leisten. Das Vergessen geht sehr schnell.“

Im Gespräch mit Frimmel erinnert sich Emile Zuckerkand­l daran, wie er mit seiner Mutter am Hafen von Bayonne im Chaos stand und nicht wusste, wie er wegkommen sollte. Plötzlich entschloss sich ein französisc­her Kapitän spontan dazu, entgegen seine Befehle 531 Menschen an Bord zu nehmen und nach Lissabon zu bringen: „Beim Verabschie­den salutierte­n der Kapitän und seine Mannschaft dieser armen Masse an Flüchtling­en, die spontan die ,Marseillai­se‘ anstimmten. Das sind so Momente, die mich am meisten berührten“, erzählt Frimmel.

Verbittert war Emile Zuckerkand­l am Ende seines Lebens nicht, „aber er konnte auch nicht verzeiEmil­es hen“: Zu seinen „großen, wunden Punkten“zählte auch der Umstand, dass er die „Mohnwiese“, ein Bild von Gustav Klimt, das im elterliche­n Salon hing, nicht mitnehmen durfte. Gezwungene­rmaßen verkaufte Zuckerkand­l das Bild weit unter seinem Wert an Rudolf Leopold, der es umgehend gegen zwei Schiele-Gemälde eintauscht­e: „Es war ungut und dubios, wie das damals gelaufen ist“, sagt Rainer Frimmel: „Seitdem hat sich im Umgang mit Restitutio­n aber viel verändert. Zudem sind Unterlagen im Nachlass aufgetauch­t, die ein neues Licht auf den Fall werfen.“

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