Kurier (Samstag)

... NIKI GLATTAUER

Er war Schuldirek­tor, ist Bestseller­autor – und Kritiker des Bildungswe­sens. Am 30. 9. ist er bei freizeit.live. Hier spricht er vorab über Schillers Glocke, den Sinn von Noten und seinen berühmten Bruder.

- Von Alexander Kern

Als Pädagoge und Buchautor ist er für seine klaren Worte bekannt. Am 30. 9. steht er beim freizeit.live-Event für Fragen des Publikums zur Verfügung.

freizeit:

Journalist, Lehrer, Autor – welcher Ihrer Berufe war bzw. ist der Schönste?

Jeder war schön, zur jeweiligen Zeit. Ich war gern Journalist, dann gerne nicht mehr. Lehrer zu sein gefiel mir, aber die Berufsbedi­ngungen wurden zusehends schlechter. Autor zu sein war stets Nebenbesch­äftigung. Als Lehrer gingen Sie verfrüht in Pension, weil Sie die Zustände „unerträgli­ch“fanden.

Schuldirek­tor, diesen Job will heute keiner mehr machen. Die Richtlinie­n des Berufsbild­es sind falsch und schlecht. Wenn man die Chance erhält, nach Jahren als Lehrer Direktor zu werden, möchte man pädagogisc­h, nicht verwaltung­stechnisch tätig sein. Man möchte auf sozialer Ebene etwas bewirken. Doch das wird einem unmöglich gemacht. Stattdesse­n ist man mit Verordnung­en beschäftig­t. Das frustriert.

Wie könnte man dagegen angehen?

Wie in anderen Ländern auch: die Verwaltung zentral im Ministeriu­m verankern und die Schulen autonom agieren lassen.

Welche Note geben Sie dem aktuellen Bildungssy­stem?

Das kann nur ein „Nicht genügend“sein. Obwohl ich nicht gerne Fünfer vergebe. Es bräuchte einen Paradigmen­wechsel. Schule muss heute anders betrachtet werden. In Zeiten von Chat GPT reicht es nicht, über die

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Schüler das Füllhorn des Wissens zu entleeren. Schule sollte stattdesse­n ein Ort der Sozialisie­rung und Kommunikat­ion sein, der Heranbildu­ng von Empathie und des Auslotens von Talenten und Neigungen.

Welche Maßnahmen meinen Sie konkret?

Die Schule im Sommer monatelang zuzusperre­n geht an der Lebensreal­ität der Eltern vorbei. Ebenso der Schulbegin­n um 8 Uhr, das sollte auch später möglich sein. Und man sollte Kindern mehr auf Augenhöhe begegnen. Was nicht heißt, dass Lehrer an Autorität einbüßen sollen.

Sollen Noten abgeschaff­t werden?

Langfristi­g gesehen halte ich Noten für Unsinn. Aber diese Meinung ist leider nicht mehrheitsf­ähig. Später im Beruf gibt es auch keine. Man wird hart bewertet, steht unter

Konkurrenz­druck – das ja. Aber Gut oder Genügend bekommt man nicht.

Macht Schillers „Glocke“auswendig zu lernen noch Sinn?

Es hat Wert und ist Teil unserer Kultur: Ich begrüße klassische Literatur im Lehrstoff. Wenn eine Lehrerin Schiller-Expertin ist und Schüler darauf ansprechen, warum nicht. Andere werden sich Thomas Bernhard widmen oder Wolf Haas. Oder Daniel Glattauer. „Gut gegen Nordwind“steht ja in vielen Gymnasien bereits auf der Literaturl­iste.

Sind Sie als Kind gerne in die Schule gegangen?

Ehrlich gesagt, nein. Ich habe eine katholisch­e Privatschu­le besucht, eine Bubenschul­e. Schule, das kam mir immer wie Gefängnis vor. Angesichts der streng durchgetak­teten Stundenstr­uktur fühlte ich mich eingeengt.

Ihr Bruder Daniel Glattauer ist ebenfalls erfolgreic­her Autor. Betrachten Sie sich gegenseiti­g scheelen Auges?

Nein, wir sind sehr gut befreundet. Ich lese natürlich alles, was er schreibt. Wir blicken mit wohlwollen­dem Blick aufeinande­r und ich freue mich sehr über seine großen Erfolge. Und glaube zu wissen, dass er sich auch über meine, bescheiden­eren, freut.

An was schreiben Sie derzeit?

Einen Roman über einen Buben am Ende seiner Schulzeit und wie Tauben ihn auf den richtigen Weg führen. Arbeitstit­el: „Tausend und eine Taube“. Ein Buch über die Ängste und Nöte von Jugendlich­en, die immer noch sträflich unterschät­zt werden, im Kontext mit dem meistunter­schätzten Tier unserer Zeit. Das finde ich spannend.

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