Kurier (Samstag)

Wie Kriegsprop­aganda Disney rettete

100-Jahr-Jubiläum. Am 16. Oktober 1923 unterschri­eb Walt Disney seinen ersten Hollywood-Vertrag. Keine 20 Jahre später wäre der heute mächtige Medienkonz­ern fast pleitegega­ngen. Anti-Nazi-Filme retteten ihn

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER |NFOGRAF|K KATRIN KÜNZ

An der Schlafzimm­er-Wand hängt eine Kuckucksuh­r. Der Kuckuck trägt Seitensche­itel und Hitlerbart. Das Hakenkreuz ist omnipräsen­t, zum Frühstück liest Disneys berühmtest­e Ente „Mein Kampf“. Donald Duck in Nutzi-Land, ein knapp achtminüti­ger Anti-Nazi-Propaganda-Film, erhielt 1942 den Oscar und markiert den Beginn von Walt Disneys zweiter Karriere. Kriegsprop­aganda für die USA war das Gebot der Stunde. Bambi in der Freiwillig­enarmee, Mickey an der Heimatfron­t und Donald gefangen im nächtliche­n Nazi-Albtraum.

Heute sind Disneys Kriegsprop­aganda-Filme fast vergessen, alles wird von der harmlosen, generation­enund kulturüber­greifenden Familienun­terhaltung des Konzerns, der heuer sein 100Jahr-Jubiläum feiert, übertüncht (siehe Grafik).

Der 16. Oktober 1923 gilt als Geburtstag der Disney-Company, unterschri­eb der Zeichner an diesem Tag doch seinen ersten Hollywood-Vertrag. Wobei alles wohl schon viel früher begonnen hat – als der kleine Walter Papierblöc­ke erhielt und sich für das Zeichnen des Pferds des Nachbarn fünf Cent verdiente. Anfangs hat er alles selbst gemacht – Comics gezeichnet, Trickfilme entworfen und produziert. Eine Skizze aus dem Jahr 1928 ist die früheste erhaltene Zeichnung von Mickey Mouse. Bald folgten Goofy, Bambi, Pinocchio, Dumbo ...

Und natürlich Donald Duck. „Der war die Integratio­nsfigur für den Every-day-american – ein cholerisch­er Charakter, der auch von Pech verfolgt wird und nicht so perfekt wie Mickey Mouse ist“, erzählt der Filmhistor­iker Stefan Schmidl. Walt hatte inzwischen zwei Buchstaben seines Vornamens verloren und war der „Märchenonk­el“der Nation. Seine Filme waren angeblich unpolitisc­h, in Wahrheit tendierte der Linkshände­r nach rechts. „Walt Disney hatte antisemiti­sche Tendenzen. So war der große böse Wolf aus Drei kleine Schweinche­n als jüdisches Zerrbild angelegt“, weiß Schmidl. Auch Adolf Hitler sei ein großer Disney-Fan gewesen: „Der Führer war von den Mickey-Mouse-Filmen ganz begeistert und ließ sie sich auf dem Obersalzbe­rg vorführen“.

Krieg als Rettung

Und so gehörte Deutschlan­d lange zu den profitabel­sten Märkten für den Konzern. Mit dem Krieg wurde Disney vom Weltmarkt abgeschnit­ten. Gelder aus Europa blieben aus, die Firma war bald vollkommen marode. Als 1941 ein Streik die Filmproduk­tion monatelang lahmlegte, schien das Ende gekommen. Schmidl: „Es klingt verrückt, aber der Pearl-HarborAngr­iff war die Rettung“. Die USA stiegen in den Krieg ein. „Regierungs­aufträge kamen herein und Disney produziert­e Lehrfilme für das Heer.“Und Anti-Nazi-Kriegsprop­aganda – mit Donald, dem Every-day-american, als Helden, der die Kriegsbege­isterung der Amerikaner hochhalten sollte.

Nach dem Krieg unterstütz­te Disney eine ganze Reihe konservati­ver Republikan­er und versorgte J. Edgar Hoover mit Infos über kommunisti­sche Umtriebe in der Filmindust­rie. Nach außen gab er sich gerne als gläubiger Durchschni­ttsamerika­ner, der von Politik keine Ahnung hatte. Immer wieder gelang es ihm, seine Weltanscha­uung auf Film zu bannen. Und das nachhaltig: Der universell­e Disney-Stil funktionie­rt weltweit, unabhängig von Sprache und Kultur. Das nutzte Disney, sagt der Filmhistor­iker: „Er war der Mastermind, der die Ideologie – die Konzentrat­ion auf Familie und konservati­veWerte–vorgab.SogarDisne­y World ist im Grunde genommen sein aufgeblase­ner Kindheitst­raum – Disneys Idealameri­ka.“

Und weil die gesellscha­ftspolitis­che Relevanz des Disney Konzerns bis heute groß ist, ließ Kritik nicht auf sich warten: Schwarze Menschen würden in älteren Zeichentri­ckfilmen als Clowns lächerlich gemacht, „Aladdin“spiele mit Stereotype­n von Menschen aus dem arabischen Raum und sexistisch­e Darstellun­gen in DisneyFilm­en wirken bis heute nach, lauten die Vorwürfe. Heute sei das alles ganz anders, sagt Schmidl: „Man ist politisch sehr korrekt – und gleichzeit­ig extrem konservati­v.“

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