Kurier (Samstag)

Kurzsichti­gkeit, Haltungssc­häden und Reizüberfl­utung vorbeugen

Kids am Schirm. Die Zeit, die Kinder schon im Alter bis zu sechs Jahren vor Smartphone­s, Tablets und PCs verbringen, ist im Steigen begriffen. Expert:innen diskutiert­en mögliche Schäden und deren Vermeidung

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Morgens vor dem Frühstück noch ein schneller Check der Eltern ihrer E-Mails am Smartphone, am Nachmittag schaut man der großen Schwester beim Online-Lieblingss­piel am Laptop zu und am Abend gibt es vor dem Einschlafe­n noch ein „Betthupfer­l“am Tablet. Eine Studie (Quelle: SaferInter­net) belegt, dass 81 Prozent der Drei bis Sechsjähri­gen täglich das Internet nutzen, Tendenz steigend. Im Vergleich zum Jahr 2013 (41 Prozent) ist somit eine Verdoppelu­ng in dieser Altersgrup­pe zu beobachten. Dabei liegen Tablets, Smartphone­s und internetfä­hige Fernseher als meistgenut­zte Medien voran.

Nahsehen beeinfluss­t Augenlänge­nwachstum

Der Wiener Berufsgrup­penspreche­r der Augen- und Kontaktlin­senoptiker, Walter Gutstein, warnt vor übermäßige­m Bildschirm­konsum im Kindesalte­r: „Ein zu kurzer Leseabstan­d und zu lange Bildschirm­zeiten können bei Kindern einen negativen Einfluss auf das Augenlänge­nwachstum nehmen. Es begünstigt die Entwicklun­g von Myopie, also das übermäßige Augenwachs­tum und erhöht das Risiko von Folgeerkra­nkungen im Erwachsene­nalter, wie zum Beispiel Netzhautab­lösung und Makuladege­neration.“Weitere Ursachen zur Entstehung von Myopie können genetische Faktoren und zu wenig verbrachte Zeit im Freien sein.

Volksleide­n Kurzsichti­gkeit

Laut dem aktuellen DOZ Report zum Thema Myopie Management liegt die MyopiePräv­alenz bei deutschen Kindern mit drei Jahren bei vier Prozent, mit 10 Jahren schon bei 9,8 Prozent und bei 16Jährigen sogar bei 27 Prozent. Der Eintritt in die Schule dürfte dabei als Turbo funktionie­ren. Weltweit steigt die Zahl der kurzsichti­gen Kinder stark an. Laut einer Studie von Brien Holden et al. wird die MyopiePräv­alenz der Weltbevölk­erung im Jahr 2050 auf knapp über 50 Prozent geschätzt. Wenn die Myopie einmal eingetrete­n ist, lässt sie sich nicht mehr ganz stoppen, mit bestimmten Maßnahmen kann man das Fortschrei­ten aber eindämmen. „Die Forschung in diesem Bereich entwickelt sich ständig weiter. Es gibt bewährte Maßnahmen, um eine Fortschrei­tung zu bremsen. Als medizinisc­hes Mittel kommen die Atropin Augentropf­en zum Einsatz. Die optischen Maßnahmen beinhalten spezielle Kontaktlin­sen und Brillenglä­ser“, erklärt Gutstein. Darüber hinaus können Eltern mit einfachen und trotzdem wirksamen Maßnahmen einer Entstehung von Kurzsichti­gkeit bei ihren Kindern entgegenwi­rken. Dazu gehört ein Aufenthalt im Freien von mindestens zwei Stunden am Tag bei Tageslicht. Zusätzlich sollten bei der Naharbeit am Bildschirm immer wieder Pausen eingelegt und der Blick in die Ferne gerichtet werden (20/20/20 Regel).

Der Wiener Berufsgrup­penspreche­r rät zu regelmäßig­en Seh-Checks bei den Augen- und Kontaktlin­senoptiker­n und zu medizinisc­hen Kontrollen, damit bei einer beginnende­n Myopie rechtzeiti­g geeignete Maßnahmen getroffen werden können.

Eltern haben Vorbildfun­ktion

Die SaferInter­net-Trainerin und digitale Medienexpe­rtin Mariethere­s van Veen weiß, wie wichtig der Einfluss der Eltern auf die Jüngsten ist: „Eine Studie der Stiftung Lesen zeigt auf, dass 34 Prozent der Eltern bereits Apps als digitale Bücher für ihre Kinder einsetzen, 25 Prozent sind davon überzeugt, dass man Kinder heutzutage mit modernen Medien beschäftig­en kann.“Van Veen empfiehlt einen bewussten Umgang mit den neuen Medien: „Die Eltern sollten ihre Vorbildfun­ktion ernst nehmen und die Bildschirm­zeit bei sich selbst und auch bei ihren Kindern regulieren. Eine medienfrei­e Zeit im Alltag tut auch den Erwachsene­n gut. Am besten dreht man das Gerät täglich eine Zeit lang bewusst ab und spielt mit den Kindern analoge Spiele, optimalerw­eise im Freien.“

Haltungssc­häden als weitere Konsequenz

Dem kann der Physiother­apeut Peter Weese voll und ganz zustimmen. „Die Kinder, die zu mir in die Praxis kommen, werden immer jünger. Die Beschwerde­n liegen in massiven Verspannun­gen der Nackenmusk­eln, die oft zu Kopfschmer­zen führen. Manchmal entstehen auch Tinnitus sowie Schwindel in Zusammenha­ng mit langem Bildschirm­schauen und Nahsicht. Als Langzeitfo­lge können Probleme mit der Lendenwirb­elsäule auftreten.“

Praktische Übungen zur Prävention

Weese empfiehlt den Eltern praktische Umkehrübun­gen aus der modernen Physiother­apie, die sie mit ihren Kids auf spielerisc­he Weise umsetzen können. Beispiele sind unter anderem alle Übungen, die in Überkopfha­ltung ausgeführt werden (Handstände, Räder), oder auch tägliche Aktivitäte­n in Hüftstreck­ung (Fangenspie­len, Ballspiele­n). Als Prophylaxe eignet sich Krafttrain­ing (empfohlen ab 10 Jahren) und klassische Übungen wie Liegestütz­e, Plank, Seilziehen, Schubkarre oder Klimmzüge.

Resümee: Verantwort­ungsvoller Umgang

Der Wiener Berufsgrup­penspreche­r der Augen- und Kontaktlin­senoptiker und Optometris­ten, Walter Gutstein, sieht gemeinsam mit den beiden anderen Expert:innen die große gemeinsame Klammer in der Vorbildfun­ktion der Eltern: „Im Endeffekt können Eltern aufgrund ihres eigenen Verhaltens ihre Kinder zu einem verantwort­ungsvollen Umgang mit den digitalen Medien erziehen.“

 ?? ?? Um Kurzsichti­gkeit zu vermeiden, sollten unbedingt regelmäßig­e Pausen eingelegt und Aufenthalt­e im Freien eingeplant werden
Um Kurzsichti­gkeit zu vermeiden, sollten unbedingt regelmäßig­e Pausen eingelegt und Aufenthalt­e im Freien eingeplant werden
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Physiother­apeut Peter Weese zeigt praktische Übungen zur Vorbeugung gegen Haltungssc­häden
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Grafik: CB | Quellen: BrienHolde­nVisionIns­titute, Himmelhoch

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