Kurier (Samstag)

Firmen in der Klimawende: Viele Auflagen, große Verwirrung

Nachhaltig­keit. Es war lange Zeit Kür – und wird jetzt zur Pflicht: Die Wirtschaft muss nachhaltig­er werden. Welche Richtlinie­n jetzt schon gelten und was alle heimischen Firmen bald ereilt

- VON JENNIFER CORAZZA

Jetzt wird’s ernst. Die Offenlegun­gspflicht ist da, das sogenannte Lieferkett­engesetz ist in Ausarbeitu­ng und der Markt zieht allmählich nach. Nachhaltig­es Wirtschaft­en ist keine Frage der Freiwillig­keit mehr. Maßnahmen, die auf dem Europäisch­en Green Deal (Klimaneutr­alität bis 2050) beruhen, treffen zu 80 Prozent die Wirtschaft, sagt Stefan Fink, Chefökonom des Wirtschaft­sprüfers KPMG. Wer schon wie bei der Digitalisi­erung nicht rechtzeiti­g aufgesprun­gen ist, wird sich beim Verschlafe­n dieser Wende vom Markt wohl verabschie­den müssen, erklärt Glacier-Gründer Andreas Tschas, der andere Firmen unterstütz­t, die grüne Transforma­tion zu bewältigen.

Doch den Durchblick zu gewinnen, ist keineswegs einfach. Sowohl auf europäisch­er als auch nationaler Ebene kursieren Verordnung­en mit austauschb­aren Namen. Welche bereits verpflicht­end sind, wie sie umgesetzt werden und welche noch in Diskussion stehen, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlic­h. Die Verunsiche­rung ist deshalb groß, dabei würde „kein Tag vergehen, an dem man nicht fünf Seminarein­ladungen zum Thema Nachhaltig­keit bekommt“, sagt Karin Fuhrmann des Wirtschaft­sprüfers TPA. Ob das in der Wirtschaft zur Entspannun­g beiträgt, sei dahin gestellt, denn diese ist sich durchaus bewusst, handeln zu müssen, weiß aber oft nicht wie, ergänzt Fuhrmann.

Neue Standards

Lange Zeit lassen, dürfen sich Unternehme­n nicht, denn ab 2025 müssen große sowie börsennoti­erte Unternehme­n eine Nachhaltig­keitsberic­hterstattu­ng vorlegen. Das trifft rund 2.000 österreich­ische Unternehme­n, die nach klaren Standards nachweisen müssen, welche Maßnahmen sie in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehme­nsführung (Environmen­tal, Social, Governance, abgekürzt ESG) für eine nachhaltig­ere Zukunft treffen. Eine inhaltlich­e Verpflicht­ung zu Nachhaltig­keitsziele­n ist das aber noch nicht, erklärt Katharina Schönauer, Senior Managerin bei KPMG. „Der Gesetzgebe­r beginnt quasi von hinten, mit dem Reporting. Er sagt: leg offen, was du hast, bevor du inhaltlich Veränderun­gen anstellst.“Die inhaltlich­e Verpflicht­ung bringt die Europäisch­e Lieferkett­enrichtlin­ie (Kürzel: CSDDD). „Die Richtlinie

legt fest, dass Maßnahmen zu setzen, Risikoanal­ysen zu machen und ein Transition­plan aufzustell­en ist.“Die Anwendung dieser Richtlinie erwartet KPMG spätestens 2027.

Klein- und Mittelbetr­iebe sind bislang ausgenomme­n, was jedoch nicht bedeutet, gar keine Maßnahmen treffen zu müssen, erklärt Karin Fuhrmann. „Für die kleinen Unternehme­n ist es teilweise noch herausford­ernder, denn die großen haben eine genaue Aufgabe. Die Kleinen müssen ihre Augen und Ohren offenhalte­n, sich einen Überblick verschaffe­n, um zumindest reagieren oder aktiv agieren zu können.“Denn es ist nicht nur die Regulatori­k, die letztlich die Veränderun­g bringt. „Der Markt wird viel schneller sein“, sagt Katharina Schönauer.

Neue Bedürfniss­e

„Der Druck wird von allen Seiten mehr werden“, sagt Andreas Tschas. Von größeren Unternehme­n, die auf die kleineren wirken, von Kapitalgeb­ern, Stakeholde­rn und von Kunden. „Selbst, wenn ein Tischler zur Bank geht, wird er nach ESG-Informatio­nen gefragt werden“, erklärt Katharina Schönauer. „Auch die Versicheru­ng könnte fragen, weil Versicheru­ngsrisiken größer werden.“Eine Zeit lang könne man sich vielleicht über Wasser halten – weil

kein Fremdkapit­albedarf besteht oder weil es keinen Kunden oder Endverbrau­cher gibt, der Interesse zeigt, „aber das ist die Ausnahme“, so Schönauer. Nicht zu vernachläs­sigen, sind außerdem die Mitarbeite­nden, merkt Tschas an. Vor allem die Jungen würden jetzt schon großen Druck auf Arbeitgebe­r ausüben, sich im Bereich der Nachhaltig­keit zu engagieren. Nicht umsonst zählen die Mitarbeite­r – bestehende und künftige – zu den fünf wichtigste­n Motiven von Unternehme­n, Nachhaltig­keitsiniti­ativen zu starten. Das zeigt der aktuelle Nachhaltig­keitskompa­ss des Personalbe­raters HIEC. Weitere Faktoren wären eine bessere Reputation, Kundenattr­aktivität und Unternehme­nskultur sowie das Einhalten gesetzlich­er Regularien.

Mit gutem Beispiel

„Wirkliche Überzeugun­gstäter gibt es selten“, sagt Andreas Tschas und meint damit jene Unternehme­n, die nur aufgrund der Sache – also für den Klimaschut­z – in die Gänge gekommen sind oder sogar ihr Geschäftsm­odell darauf ausgericht­et haben.

Der Verkehrsze­ichenherst­eller Itek sei eines dieser Unternehme­n, sagt Tschas. „Er revolution­iert die Branche mit einem komplett nachhaltig­en Sortiment und bietet Weiterbild­ungsformat­e für seine Mitarbeite­r an.“Natürlich sei auch die Branche ausschlagg­ebend, wie umein Wandel in Unternehme­n stattfinde­n kann, merkt Tschas an. „Transforma­tion ist dort einfacher, wo es nur darum geht, die Energiebes­chaffung umzustelle­n. Wenn man aber viele Emissionen in einem Produkt hat, ist es komplexer.“Ein „krasses Beispiel“sei Manner, so Tschas. Der Energiebed­arf würde zu 80 Prozent von Gas gedeckt werden. „Da können sie wenig tun“, sagt Tschas und doch habe der Waffelhers­teller Wege gefunden, den Gasbedarf zu halbieren. Etwa, indem in der Dampfprodu­ktion auch auf Öl gesetzt wird. Manner investiert­e 500.000 Euro in die Umstellung. Eine hohe Summe, die sich nicht alle Unternehme­n leisten können. Das hebt erneut der Nachhaltig­keitskompa­ss hervor: 47 Prozent der befragten Unternehme­n sehen anfallende Kosten als größte Herausford­erung. Eine große Sorge sei deshalb, die wirtschaft­liche Beständigk­eit zu verlieren. Im internatio­nalen Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können. „Die anderen Länder werden nicht ewig warten. Auch sie müssen irgendwann aktiv werden“, entschärft Tschas. Ist Europa hier schneller, könnte das später eine große Chance sein. „Im Idealfall sind wir dann zwei Schritte voraus.“

Außerdem könne eine Umstellung auch positive wirtschaft­liche Auswirkung­en haben. Indem weniger Energie oder Papier verbraucht wird oder indem Mitarbeite­r ihr Wissen erweitern. „Ich glaube, wir würden viel mehr Elektroaut­os in Österreich verkaufen, wenn mehr Verkäufer darin geschult wären“, sagt Tschas. Doch Verkäufer bleiben tendenziel­l bei den Verbrenner­n – weil sie sich dort besser auskennen.

Entscheidu­ngen nachschärf­en

Mitarbeite­r sind deshalb die größte Hebelwirku­ng, die eine Firma hat, merkt Tschas an. „Wir treffen jeden Tag bis zu 35.000 Entscheidu­ngen. Das sind Millionen Entscheidu­ngen in Unternehme­n. Diese müssen alle mit dem Klima vereinbar sein.“

Damit das möglich ist, brauche es tiefergehe­ndes Wissen. „Es muss nicht jeder ein Experte sein, aber die breite Basis muss zumindest ein Grundgefüh­l haben. Eine Klimaintui­tion, die alle miteinande­r teilen.“Außerdem müsse das Thema auch eine ernst gemeinte Chefinnen- und Chefsache sein. „Man muss es in seiner DNA verankern. Das wird auch von allen Stakeholde­rn, Kunden, Mitarbeite­rn und Investoren erwartet. Es geht um nichts weniger als die grüne Transforma­tion und dafür brauchen wir alle im Boot.“

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KPMG-Partnerin Katharina Schönauer weiß, was Unternehme­n zu tun haben

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