Kurier (Samstag)

Den Schatten davonlaufe­n

Depression­en. Im Rennen um die heilsamere Wirkung sehen niederländ­ische Forschende Joggen bei der Therapie im Vergleich zu Medikament­en als Sieger

- VON MARLENE PATSALIDIS

„Mach doch Sport! Dann kommt die gute Laune ganz von selbst.“Aussagen wie diese werden von Menschen mit Depression­en oft als übergriffi­g und verharmlos­end wahrgenomm­en. Hilfreich ist dieser gut gemeinte Ratschlag für psychisch Belastete selten. Aus wissenscha­ftlicher Sicht könnte er aber legitim sein. Das legt eine neue Studie aus den Niederland­en nahe: Demnach lindert regelmäßig­er Laufsport depressive Symptome gleich gut wie gängige Antidepres­siva – und stützt neben der seelischen Fitness auch die körperlich­e.

In Bewegung kommen

In der Untersuchu­ng verglich man – erstmals, wie die Forschende­n betonen – den Effekt von Antidepres­siva im Vergleich zu Lauftraini­ngs bei Angststöru­ngen und Depression­en. „Und wir wollten uns auch ansehen, wie sich Bewegung bzw. Antidepres­siva die allgemeine Gesundheit auswirken“, sagte Studienlei­terin und Psychiater­in Brenda Penninx von der Amsterdame­r Vrije Universitä­t im Vorfeld des renommiert­en psychophar­makologisc­hen ECNP-Kongresses in Barcelona. Dort wird Penninx ihre Forschunge­n in den kommenden Tagen präsentier­en.

Zusammen mit ihrem Team untersucht­e sie 141 Patientinn­en und Patienten mit Depression­en und Angstzustä­nden. Sie durften zwischen einer 16-wöchigen Behandlung mit Serotonin-Wiederaufn­ahmehemmer­n, den aktuell am häufigsten eingesetzt­en Antidepres­siva, und einer 16-wöchigen, profession­ell betreuten Lauftherap­ie in der Gruppe wählen. 45 entschiede­n sich für die Tabletten, 96 – also deutlich mehr – für Sport.

Die Datenanaly­se förderte Überrasche­ndes zutage: Zu Studienend­e berichtete­n rund 44 Prozent der Teilnehmen­den beider Gruppen weniger depressive und ängstliche Zustände. Die Laufgruppe zeigte darüber hinaus – wenig überrasche­nd – Verbesseru­ngen bei Gewicht, Taillenumf­ang, Blutdruck und Herzfunkti­on. Die Antidepres­sivaGruppe schnitt bei diesen Parametern schlechter ab.

Sporteln statt Stimmungsa­ufheller schlucken also? „Das kann man daraus keineswegs ableiten“, sagt Christa Rados von der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik. „Manche Patienten schaffen es morgens kaum aus dem Bett. Ein ambitionie­rtes Lauftraini­ng ist da illusorisc­h. Eine Tablette zu schlucken, in der Hoffnung, dass sie hilft, ist aber gut machbar“, gibt sie zu bedenken.

Tatsächlic­h zeigte sich schon bei der Gruppenfor­mierung, dass die

Symptome jener Probandinn­en und Probanden, die sich für Antidepres­siva entschiede­n, schwerwieg­ender waren als die ihrer laufenden Pendants. Menschen die tief in der Depression stecken, würden sich Sport gar nicht erst zutrauen. Das schmälert die Aussagekra­ft der Ergebnisse. Beim Lauftraini­ng schlich sich außerdem eher Nachlässig­keit ein: 52 Prozent der Sportelnde­n zogen das Programm durch, in der anderen Gruppe waren es 82 Prozent.

Keine Ersatzther­apie

Dass Bewegung stimmungss­tabilisier­end wirkt, sei laut Rados nichts Neues. Es gebe auch Untersuchu­ngen, die moderater Bewegung bei psychisch kranken Menschen einen positiven Effekt attestiere­n. „Daraus für den klinischen Alltag ein Entweder-Oder abzuleiten, wäre aber unzulässig. Wir haben Leitlinien, wie Depression­en zu behandeln sind – ab einem bestimmten Schweregra­d eben mit Medikament­en.“Als „Zusatz-Tool“für bestimmte Patienteng­ruppen, etwa auch solche, die bereits vor ihrer Erkrankung gerne Sport betrieben haben, könne Bewegung aber sinnvoll sein.

Laufen ist kein Allheilmit­tel für eine angeschlag­ene Psyche, bekräftigt auch Penninx: „Bei der Behandlung haben beide Therapien ihren Platz.“Um das Sportverha­lten nachhaltig zu ändern, bedürfe es einer gut konzipiert­en Bewegungst­herapie. „Es reicht nicht, den Menschen zu sagen, sie sollen laufen gehen.“Antidepres­siva seien nach wie vor eine wirkungsvo­lle Behandlung. Allerdings würden sie oft abgelehnt – nicht zuletzt wegen unerwünsch­ter Nebenwirku­ngen. Bewegung könne das Therapiesp­ektrum erweitern – und neben der Psyche auch den Körper aufpäppeln.

„Manche Patienten schaffen es kaum aus dem Bett. Ein ambitionie­rtes Lauftraini­ng ist da illusorisc­h“Christa Rados Psychiater­in KABEG/ HELGE BAUER

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Laufschuhe schnüren und loslegen: Das kann Depression­en lindern, besagt eine neue Studie
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