„Willst du das so stehen lassen?“
Digitale Gewalt. An bedrohlichen Inhalten kommen Kinder im Internet nicht vorbei. Warum es wichtig ist, Hasspostern online Paroli zu bieten und welche Rolle Eltern dabei spielen
Das Internet kann für Kinder ein gefährlicher Ort sein. Das wissen die meisten Eltern. Was sie nicht wissen: Bedrohliche Erfahrungen machen Heranwachsende oft schon lange vor der Pubertät. „In den Köpfen von Müttern und Vätern gibt es die Idee, dass es im Internet erst ab einem gewissen Alter riskant wird. Nach dem Motto: Wenn die Kleinen nur bunte Spiele spielen, kann ja nichts passieren“, sagt Ulrike Zartler. „Eine Fehleinschätzung“, wie die Familiensoziologin hinzufügt.
Omnipräsentes Problem
Erfahrungen mit digitaler Gewalt machen nahezu alle Kinder, sobald sie ein eigenes Handy besitzen oder Zugang zu einem haben, weiß Zartler. „Das betrifft Mädchen wie Burschen gleichermaßen“, ergänzt Christiane Atzmüller, die mit Zartler zusammen an der Uni Wien zu digitaler Gewalt forscht. Sie kann viele Formen annehmen – das reicht von mehr oder weniger expliziten oder bloßstellenden Bildern oder Videos, die ohne Einverständnis der Abgebildeten verschickt werden, über beleidigende, übergriffige und hasserfüllt-drohende Kommentare. Bis hin zu ganzen Fake-Accounts – mit dem Ziel, bestimmte Personen niederzumachen.
Was jemand im Internet als verstörend empfindet, ist freilich verschieden. „Allerdings“, betont Zartler, „denken Jugendliche heute oft, es würde zum Erwachsenwerden dazugehören, dass man damit umgehen lernt. Dass man sich eine dicke Haut zunach legt und lernt, dass einen das nicht berühren darf.“Es sei bedenklich, wenn Kinder gegenüber solchen Aggressionshandlungen abstumpfen.
Studien würden belegen, wie belastend Online-Hass und Cybermobbing sein können, erklärt Atzmüller. Mit Suchfiltern und Löschungen versuchen Instagram, Tiktok und Co. zwar, das Problem einzudämmen. „Gänzlich verbannen wird man digitale Gewalt aber kaum können“, sagt Atzmüller. Sie sieht dennoch Spielraum für Verbesserungen. Zum Beispiel über Counter Speech. Von Counter Speech spricht man, wenn Menschen im Internet dem analogen Vorbild der Zivilcourage Hass-Poster in die Schranken weisen. „In einem aktuellen Forschungsprojekt wollen wir Jugendlichen bewusst machen, dass man im Internet widersprechen kann und ermuntern, nicht wegzuschauen“, beschreibt Atzmüller. Heißt: für das Opfer sprechen, den Täter zur Rede stellen oder vorhandene Kommentare des Widerspruchs liken.
Aus der Forschung wisse man, dass Counter Speech das Potenzial habe, Hassposter in ihrem Handlungsspielraum zu begrenzen: „Es wird aber von den Jugendlichen kaum genutzt“, sagt Zartler. Aus verständlichen Gründen:
„Man exponiert sich, macht sich angreifbar.“Teilweise decken sich digitale Kontakte mit denen im echten Leben. „Man muss den Leuten in der Schule gegenübertreten.“
Mehr Mut zur Gegenrede
Um Jugendliche zur Gegenrede im Netz zu ermuntern, wollen ihnen die Forscherinnen praktische Werkzeuge an die Hand geben. Für Erwachsene gibt es etwa bereits im Internet verfügbare Sammlungen mit guten Repliken auf hasserfüllte Postings (siehe Infobox). „Wir versuchen, auch Konzepte zu entwickeln, die direkt dort, wo sich junge Menschen im Internet bewegen, auf digitale Gewalt hinweisen. Dass auf Instagram beispielsweise ein Fenster aufpoppt, das fragt: ‚Willst du das wirklich so stehen lassen?‘.“Dafür brauche es wissenschaftliche Forschung, um Hassrede zu identifizieren und letztlich die Bereitschaft der Plattformen, solche Werkzeuge einzubauen. Jugendliche zur digitalen Eigenverantwortung zu befähigen, entlässt Eltern nicht aus der Pflicht. Zartler: „Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben. Das klingt ganz einfach, ist aber sehr schwierig, weil es zeit- und beziehungsintensiv ist.“Und: Eltern sollten nicht zuletzt auch daran denken, im Internet als gutes Beispiel voranzugehen.