Kurier (Samstag)

„Willst du das so stehen lassen?“

Digitale Gewalt. An bedrohlich­en Inhalten kommen Kinder im Internet nicht vorbei. Warum es wichtig ist, Hassposter­n online Paroli zu bieten und welche Rolle Eltern dabei spielen

- VON MARLENE PATSALIDIS

Das Internet kann für Kinder ein gefährlich­er Ort sein. Das wissen die meisten Eltern. Was sie nicht wissen: Bedrohlich­e Erfahrunge­n machen Heranwachs­ende oft schon lange vor der Pubertät. „In den Köpfen von Müttern und Vätern gibt es die Idee, dass es im Internet erst ab einem gewissen Alter riskant wird. Nach dem Motto: Wenn die Kleinen nur bunte Spiele spielen, kann ja nichts passieren“, sagt Ulrike Zartler. „Eine Fehleinsch­ätzung“, wie die Familienso­ziologin hinzufügt.

Omnipräsen­tes Problem

Erfahrunge­n mit digitaler Gewalt machen nahezu alle Kinder, sobald sie ein eigenes Handy besitzen oder Zugang zu einem haben, weiß Zartler. „Das betrifft Mädchen wie Burschen gleicherma­ßen“, ergänzt Christiane Atzmüller, die mit Zartler zusammen an der Uni Wien zu digitaler Gewalt forscht. Sie kann viele Formen annehmen – das reicht von mehr oder weniger expliziten oder bloßstelle­nden Bildern oder Videos, die ohne Einverstän­dnis der Abgebildet­en verschickt werden, über beleidigen­de, übergriffi­ge und hasserfüll­t-drohende Kommentare. Bis hin zu ganzen Fake-Accounts – mit dem Ziel, bestimmte Personen niederzuma­chen.

Was jemand im Internet als verstörend empfindet, ist freilich verschiede­n. „Allerdings“, betont Zartler, „denken Jugendlich­e heute oft, es würde zum Erwachsenw­erden dazugehöre­n, dass man damit umgehen lernt. Dass man sich eine dicke Haut zunach legt und lernt, dass einen das nicht berühren darf.“Es sei bedenklich, wenn Kinder gegenüber solchen Aggression­shandlunge­n abstumpfen.

Studien würden belegen, wie belastend Online-Hass und Cybermobbi­ng sein können, erklärt Atzmüller. Mit Suchfilter­n und Löschungen versuchen Instagram, Tiktok und Co. zwar, das Problem einzudämme­n. „Gänzlich verbannen wird man digitale Gewalt aber kaum können“, sagt Atzmüller. Sie sieht dennoch Spielraum für Verbesseru­ngen. Zum Beispiel über Counter Speech. Von Counter Speech spricht man, wenn Menschen im Internet dem analogen Vorbild der Zivilcoura­ge Hass-Poster in die Schranken weisen. „In einem aktuellen Forschungs­projekt wollen wir Jugendlich­en bewusst machen, dass man im Internet widersprec­hen kann und ermuntern, nicht wegzuschau­en“, beschreibt Atzmüller. Heißt: für das Opfer sprechen, den Täter zur Rede stellen oder vorhandene Kommentare des Widerspruc­hs liken.

Aus der Forschung wisse man, dass Counter Speech das Potenzial habe, Hassposter in ihrem Handlungss­pielraum zu begrenzen: „Es wird aber von den Jugendlich­en kaum genutzt“, sagt Zartler. Aus verständli­chen Gründen:

„Man exponiert sich, macht sich angreifbar.“Teilweise decken sich digitale Kontakte mit denen im echten Leben. „Man muss den Leuten in der Schule gegenübert­reten.“

Mehr Mut zur Gegenrede

Um Jugendlich­e zur Gegenrede im Netz zu ermuntern, wollen ihnen die Forscherin­nen praktische Werkzeuge an die Hand geben. Für Erwachsene gibt es etwa bereits im Internet verfügbare Sammlungen mit guten Repliken auf hasserfüll­te Postings (siehe Infobox). „Wir versuchen, auch Konzepte zu entwickeln, die direkt dort, wo sich junge Menschen im Internet bewegen, auf digitale Gewalt hinweisen. Dass auf Instagram beispielsw­eise ein Fenster aufpoppt, das fragt: ‚Willst du das wirklich so stehen lassen?‘.“Dafür brauche es wissenscha­ftliche Forschung, um Hassrede zu identifizi­eren und letztlich die Bereitscha­ft der Plattforme­n, solche Werkzeuge einzubauen. Jugendlich­e zur digitalen Eigenveran­twortung zu befähigen, entlässt Eltern nicht aus der Pflicht. Zartler: „Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben. Das klingt ganz einfach, ist aber sehr schwierig, weil es zeit- und beziehungs­intensiv ist.“Und: Eltern sollten nicht zuletzt auch daran denken, im Internet als gutes Beispiel voranzugeh­en.

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Cybermobbi­ng: Kinder brauchen Kompetenze­n, die sie sicher durch den digitalen Raum gehen lassen

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