Kurier (Samstag)

„Wir müssen unsere Söhne anders erziehen“

Bühne. Die australisc­he Autorin Suzie Miller über ihr Stück „Prima facie“

- VON SUSANNE ZOBL

Die Lage erscheint bereits auf einen ersten Blick auch für juristisch­e Laien aussichtsl­os: Tessa Ensler, eine junge aufstreben­de Strafverte­idigerin, verklagt ihren Liebhaber wegen Vergewalti­gung. Das Paar hat nicht die erste gemeinsame Nacht verbracht und reichlich Alkohol konsumiert. Das ist der Ausgangspu­nkt von Suzie Millers Stück „Prima facie“, das 2019 in Sydney zur Uraufführu­ng kam. Dieser Monolog einer Schauspiel­erin geriet zum internatio­nalen Erfolg, wurde am Broadway und im Londoner Westend monatelang gefeiert und mit dem Olivier-Award gekürt.

Jetzt hat es den deutschen Sprachraum erreicht und wird in dieser Spielzeit an 15 Bühnen in Österreich, Deutschlan­d und in der Schweiz gespielt. Ab heute ist es im Volkstheat­er (Dunkelkamm­er) zu sehen. Zuvor erreichte der KURIER die Autorin, eine studierte Juristin aus Australien, die sich nach ihrem Erfolg aufs Schreiben verlegt hat.

KURIER: Wie würden Sie als Richterin in Tessas Fall entscheide­n?

Suzie Miller: Im angelsächs­ischen Recht ist es sehr selten, dass man in so einem Fall jemanden schuldig spricht. Ich hätte diesem Mann geraten, auf nicht schuldig zu plädieren. Er würde davonkomme­n. In Großbritan­nien hatten sich viele Anwälte und Richter dieses Stück angesehen. In Nordirland mussten Richter sogar eine Vorstellun­g besuchen und im britischen Yorkshire wurden 3.000 Polizisten dazu verpflicht­et. Die Reaktionen waren gigantisch. Viele schrieben mir, dass sie zuvor nicht beachtet haben, dass sich Frauen gegen Vergewalti­gungen oft nicht wehren, weil sie unter Schock stehen und dadurch erstarren. Ich kenne auch viele Frauen, die ihren Fall nicht vor Gericht brachten, weil sie wussten, dass man ihnen nicht glauben würde.

Wo sind die Leute, die auf Fairness in der Sprache plädieren, wenn Männer straffrei vergewalti­gen dürfen?

In unserer Kultur ist es doch noch immer so, dass Männer glauben, dass sie das Recht auf Sex haben. Das müssen wir ändern, wir müssen unsere Söhne anders erziehen. Aber auch Frauen haben ihren Status lange nicht hinterfrag­t. Im angelsächs­ischen Recht gab es erst in den 1990er-Jahren die Gleichstel­lung von Mann und Frau. Wie ist das bei euch in Österreich?

In Österreich war das 1989.

Und weil die Frau so lange als Eigentum des Mannes angesehen wurde, gab es so etwas wie Vergewalti­gung in der Ehe gar nicht und deshalb gibt es noch immer so viele Femizide und Übergriffe. Viele ältere Frauen erkennen gar nicht, dass sie mit Übergriffe­n konfrontie­rt waren. Es wird noch Generation­en dauern, bis sich das ändert. Ich habe mein Stück vor MeToo geschriebe­n, und jetzt, im Lichte der MeToo-Bewegung, beginnen Frauen endlich, ihre Stimmen zu erheben. Aber es ist doch schlimm genug, dass es normal ist, dass sich Frauen noch immer unsicher fühlen, wenn sie allein im Dunkeln unterwegs sind und die Straße wechseln, wenn ihnen ein

Mann entgegenko­mmt. Wenn dann etwas passiert, wird die Frau verantwort­lich gemacht, denn sie hätte das herausgefo­rdert, weil sie angeblich aufreizend gekleidet war.

Wie kann man Vergewalti­gung in einer Ehe verhindern?

Wie ich sagte, durch Erziehung unserer Söhne. Was mich besonders berührt hat, war die Reaktion eines 40-jährigen Mannes auf mein Stück. Er erzählte mir, dass er tatsächlic­h geglaubt hat, dass er Frauen mit besonderem Druck von sich überzeugen müsse, sonst würden sie ihn nicht attraktiv finden.

Kommen wir noch einmal auf Ihr Stück. Tessas Fall scheint ziemlich aussichtsl­os. Was würden Sie ihr raten?

Ich fände es interessan­t, solche Fälle vor ein Zivilgeric­ht zu bringen. Man könnte dann auf so etwas wie Besitzstör­ung klagen, denn jede Frau ist im Besitz ihres Körpers. Da hätte sie vielleicht eine Chance.

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Ab heute im Volkstheat­er (Dunkelkamm­er): Anna Rieser in „Prima facie“

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