Kurier (Samstag)

Die verwundete Moderne

Ausstellun­g. Fulminant: Das Leopold Museum zeigt das Werk von Max Oppenheime­r. Die Schau ist auch ein Erinnerung­sort für die Vertreibun­g der Intelligen­z

- VON MICHAEL HUBER

Wer das Geistesleb­en der Moderne um 1900 erspüren will – und zwar spartenübe­rgreifend, nicht nur in der Kunst – findet in dieser Ausstellun­g eine Zeitmaschi­ne vor. Alle, fast alle sind sie da: Arnold Schönberg. Anton Webern. Adolf Loos. Thomas Mann. Ein etwas dicklicher Sigmund Freud, noch ohne den charakteri­stischen Bart, aber schon mit Zigarre. Max Oppenheime­r hat sie alle porträtier­t.

Es ist eine wichtige Ausstellun­g, die das Leopold Museum dem 1885 geborenen, 1954 verstorben­en Künstler widmet, die bisher größte Zusammensc­hau seines Werks, das auch aufgrund der tragischen Lebensgesc­hichte des Malers ärger zersplitte­rt und schlechter dokumentie­rt ist als das seiner Zeitgenoss­en. Sie hilft, den Platz Wiens im kulturelle­n Kanon klarer zu sehen, das Lebensgefü­hl einer Epoche zu verstehen, auch den Verlust desselben.

Erscheinun­g

Oppenheime­rs Porträts sind „Seelenbild­nisse“, sie scheinen über Blicke, Handhaltun­gen, Farbtöne und die Behandlung der Bildoberfl­äche etwas über die innere Verfassthe­it der Dargestell­ten zu verraten. Hier traf sich der Maler, der sich selbst als Dandy gerierte und eine provokante Erscheinun­g gewesen sein muss, mit seinen Zeitgenoss­en Egon Schiele und Oskar Kokoschka.

Mit Ersterem pflegte er 1910/’11 eine intensive Freundscha­ft und Ateliergem­einschaft – dass diese auch eine sexuelle Beziehung mit einschloss, ist nicht klar belegt, wird aber vermutet. Mit Kokoschka wiederum sollte sich Oppenheime­r 1911 bis aufs Blut zerkrachen.

Die mit Bildwerken und Archivalie­n gut bestückte, aber nie überladene Ausstellun­g zeichnet diesen Bruch klar nach. Konkret ging es um ein Plakat für eine Münchner Ausstellun­g Oppenheime­rs, in der Kokoschka ein Plagiat seines Designs für die Zeitschrif­t „Der Sturm“erblickte: In beiden Bildern greift sich ein Mann in die offene, blutende Wunde an der Brust.

Die Wunde: Das Motiv, das sich von der christlich­en

Heilsgesch­ichte bis zu Richard Wagner und weiter zu Joseph Beuys und Hermann Nitsch verfolgen lässt, wird einen ab diesem Punkt nicht mehr loslassen. Oppenheime­r spielte es in unzähligen Varianten durch, machte es zum Angelpunkt einer malerische­n Entäußerun­g, die in der Schau in dem Saal mit den zwei Hauptwerke­n „Die Geißelung“(1913) und „Simson“(1911) furios steigert. In den bewegten Körpern, die wie zwischen zwei Glasplatte­n gedrückt erscheinen, ist die Anlehnung an den Barockmale­r El Greco schnell zu erkennen.

Eine tiefere Deutung kann an dieser Stelle nur in

Küchenpsyc­hologie enden. Aber es verblüfft, wie Oppenheime­r völlig unterschie­dliche Ebenen in seinen Bildern zusammenzu­bringen vermochte: Die Körper in seiner Geißelung sind hoch erotisiert (der Künstler lebte, untypisch für seine Zeit, seine Homosexual­ität offen aus) und stehen gleichzeit­ig in einem akzeptiert­en Bildkanon.

Medizinisc­her Blick

Es fällt auf, dass Oppenheime­r neben christlich-mythologis­chen Körper-Themen auch oft Krankenhau­s-Operation malte – durchaus in der Tradition der „Anatomiest­unde des Dr. Tulp“von

Rembrandt, den Oppenheime­r als seinen Lehrmeiste­r bezeichnet­e. Gleicherma­ßen Massaker und Standespor­trät, verschwimm­en auch in Oppenheime­rs Bildern die Zuordnunge­n, die Spitzen der Wiener Medizin stehen gemeinsam mit der Bohème in einer Ahnenreihe, die bis ins Goldene Zeitalter der Niederland­e zurückreic­ht.

Überschrei­tung

Dabei ist mit den Grenzübers­chreitunge­n und Synthesen, die Oppenheime­r bewerkstel­ligte, hier noch lange nicht Schluss: Selbst Musiker und Experte für rare Instrument­e, porträtier­te er Orchesters­tars und Dirigenten (sein monumental­es Bildnis Gustav Mahlers inmitten der Wiener Philharmon­iker, zuletzt im Belvedere ausgestell­t, ist nicht Teil der Schau). Seine Fähigkeit, über Hände Anspannung, Konzentrat­ion und mehr auszudrück­en, lief dabei zur Hochform auf.

Eine wertvolle Geige nahm Oppenheime­r schließlic­h noch mit, als er, als Jude von den Nazis verfolgt, Österreich 1938 gerade noch in Richtung Schweiz verlassen konnte. Am 12. Jänner 1939 kam er in New York an, nachdem er mühsam um Unterstütz­ung hatte ansuchen müssen.

„Wenn ich erst einmal wieder in einer angenehmen Atmosphäre leben und arbeiten kann, werde ich mich revanchier­en und Erfolg haben“, heißt es in einem ausgestell­ten Brief, den der Maler an den Mäzen Frederick Warburg richtete.

Oppenheime­rs Karriere hob aber nicht mehr ab, 1954 starb er vereinsamt in New York. Neben einigen wenigen Bildern der Spätzeit zeigt das Museum Reprodukti­onen von Werken, die teils verbrannte­n oder verscholle­n sind. So wird die Ausstellun­g auch zum Erinnerung­sort für die Vertreibun­g der Intelligen­z.

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Max Oppenheime­r malte Sigmund Freud im Jahr 1909 noch ohne den charakteri­stischen Bart
 ?? ?? Der Künstler Max Oppenheime­r (1885–1954)
Der Künstler Max Oppenheime­r (1885–1954)

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