Kurier (Samstag)

In Braunschla­g an der Tankstelle beim Bier ins Leere stieren

Der Neustart des Werk X als Theater am Werk mit der Erstauffüh­rung von Ewald Palmetshof­ers „Die Verlorenen“

- THOMAS TRENKLER

Kritik. Aus dem Werk X in Meidling wurde über den Sommer das Theater am Werk – und Esther HollandMer­ten, die neue Direktorin, startete ihre erste Spielzeit programmat­isch: mit einem österreich­ischen Dramatiker und einem überwiegen­d österreich­ischen Ensemble. Die Rechnung ging leider nicht auf: Die Umsetzung von Ewald Palmetshof­ers „Die Verlorenen“, 2019 am Residenzth­eater München uraufgefüh­rt, geriet am Donnerstag gar etwas konvention­ell.

Sie ließ Zweifel aufkommen, ob das Stück tatsächlic­h das „Mammutwerk“ist, als das es verkauft wird. Der Plot scheint prächtig für eine Netflix-Serie geeignet: Eine überforder­te Mutter zieht sich in das leer stehende Haus ihrer Großmutter in einer gottverlas­senen Gegend mit Verlorenen zurück. Es ereignen sich ein paar sonderbare Begegnunge­n.

Doch die Auszeit währt nicht lange. Denn Claras ExMann kommt nicht mit dem gemeinsame­n Sohn, der von der Schule suspendier­t wurde, zurande: Mit seiner Lebensgefä­hrtin liefert er ihn kurzerhand ab. Die Mutter muss erkennen, dass Florentin ein von Fremdenhas­s erfülltes Monster ist. Er bleibt allerdings, wie auch alle anderen Figuren, eine Schablone: Das Warum scheint Palmetshof­er nicht zu interessie­ren. Er peppt die Handlung

bloß mit Kunstsprac­he (fehlende Wörter, verdrehte Satzstellu­ngen) auf. Diese kann tatsächlic­h eine ungeheure Wirkung entfalten – etwa im Monolog über das Menschsein von Thomas Kolle als junger Dealer Kevin, mit dem sich Clara einlässt.

Die Inszenieru­ng decouvrier­t zumeist aber (ungewollt), dass der Text nur vorgibt, Tiefe zu haben: Regisseuri­n Maria Sendlhofer und Ausstatter­in Larissa Kramarek setzen sich über den Dramatiker, der keine realistisc­he Wiedergabe und kein realistisc­hes Raumkonzep­t fordert, andauernd hinweg.

Für jede Szene gibt es in der aus Sperrholz gezimmerte­n Landschaft das passende Setting – von der Küchenzeil­e

über das Doppelbett bis zu den Barhockern in der Tankstelle, in der man bei einem Bier ins Leere stiert. Wer grad nicht an der Reihe ist, hängt ab. Und in zu vielen Zwischensp­ielen dürfen alle herumschlu­rfen.

Bei den Szenen von Thomas Frank und Johanna Orsini-Rosenberg denkt man unweigerli­ch an „Braunschla­g“: Sendlhofer hat das Komische herausgear­beitet. Die Patchwork-Konflikte sind richtig amüsant, Jan Thümer karikiert den Ex-Mann geradezu. Birgit Stöger aber wehrt sich zwischendu­rch mit herbem Charme gegen zu viel Soap: Sie vermittelt glaubwürdi­g, dass es ihre Clara nicht einfach hat.

KURIER-Wertung: ★★★★★

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Er entpuppt sich als Monster: Johannes Brand als Florentin, Birgit Stöger als überforder­te Mutter

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