Kurier (Samstag)

MOST WANTED

Seit geraumer Zeit macht nicht nur sauer lustig. Wie sich Österreich­s Most verundert hat. Wie er sich von vergleichb­aren Produkten um den Globus unterschei­det – und was das mit dem Wein zu tun hat.

- Von Daniel Voglhuber

Die Wachau hat „Steinfeder“, „Federspiel“und „Smaragd“. Dem Wein zugetane Menschen wissen sofort, dass die stolzen Wachauer ihre Tropfen so von leicht bis gehaltvoll klassifizi­eren. Und sie wissen, dass gerade beim Smaragd Vorsicht geboten ist. Der zeigt nämlich nach rauen Mengen am nächsten Tag dem Kopf, wo der Barthel den Most herholt. Dort, wo man ihn aus dem Keller holt – im Mostvierte­l – sind aller guten Dinge des vergorenen Birnensaft­s ebenfalls drei. Brous – ein alter hiesiger Dialektaus­druck für Knospe – ist spritzig und eignet sich für den Aperitif. Preh meint Stolz und ist ein vollmundig­er Speisenbeg­leiter. Exibatur, der Pflug, der hat es dann wirklich in sich. „Das ist ein wahrer Kraftlackl mit kräftiger Aromatik und frischer Säure“, erklärt Toni Distelberg­er, „Primus“des Vereins Mostbarone. Ganz gleich, ob zart am Gaumen kitzelnd oder doch eher Furchen ins Gesicht ziehend, eines zeigt sich: Der Most ist seit geraumer Zeit eben kein herber Trank mehr, dessen Qualität mehr oder weniger ein Produkt des Zufalls ist. Etwas Hefe zuzugeben und sich zu sagen: „Schauma amoi, wos wird“, spielt es nicht mehr. Nicht nur die geeichten Punkterich­ter bei den Mostkosten legen Wert auf gute Qualität.

Fruchtig statt süffig

Die Produzente­n in Niederöste­rreich und jene, die wie in Oberösterr­eich, der Steiermark, Kärnten und Vorarlberg auch Äpfel vergären lassen, haben ab den Neunzigern die Renaissanc­e des Mosts eingeleite­t und sich vom Weinbau und dessen Kellertech­niken inspiriere­n lassen. Und das ist nur allzu logisch: „Die Menschen in Österreich lieben |

den frisch-duftigen Weißwein, und auch der Most soll da fruchtig und feingliedr­ig sein. In anderen Teilen der Welt geht es mehr um den Trinkfluss, da muss es süffiger sein.“Dazu haben findige Marketingl­eute eigene Flaschen kreiert, die an mit leichtem Wein gefüllte Behältniss­e erinnern. Es muss nicht immer nur der schöne Keramikkru­g sein. Dazu wird er mancherort­s im Stielglas serviert. Und dazu gibt es gar Sorten, die nur von einem Baum stammen. Wer etwas ganz Besonderes machen will, verpasst dem Getränk eine ganz spezielle Bezeichnun­g. „Jeder kann einen guten Most machen. Aber wenn man die fruchtige Qualität noch mehr hervorhebt oder ihn etwa in Holzfässer­n lagert, dann hat er sich den Namen Edelmost verdient.“

Auch wenn der Ertrag zum dritten Mal in Folge eher schmal ist, wird der Most laut des Experten gut werden. Wenn ein Baum zu viele Früchte trägt, könne er nicht alle optimal versorgen. „Das Wetter ist großartig: viel Sonne, kühle Nächte. Das ist gut fürs Aroma.“Was Distelberg­er beklagt: Die Birnbäume werden wegen Klimawande­ls und Strukturän­derungen

in der Landwirtsc­haft weniger. Laut einer Studie aus dem Jahr 1968 gab es allein in Niederöste­rreich 1,3 Millionen Bäume. Heute liegt die Zahl geschätzt bei höchstens 700.000. Das ist nicht nur schlecht für den Most, sondern auch für Kleinlebew­esen, die im Umfeld leben. Daher werden jene, die es gibt, gepflegt. „So ein Baum wird zwischen 200 und 300 Jahre alt. Bis man die Birnen verwenden kann, können 30 Jahre vergehen. Und richtig gut werden sie überhaupt erst, wenn der Baum 60 bis 80 Jahre alt ist.“Wenn wir schon beim Wissenswer­ten sind: Die wahren Mostschäde­ln kommen nicht aus dem niederöste­rreichisch­en Mostvierte­l, sondern aus Oberösterr­eich. Nicht umsonst geben sich manche diesen Namen selbst. 3,5 Liter „Landessäur­e“wird laut einer seit Jahren gleich bleibenden Statistik getrunken. In Österreich liegt der Mostkonsum pro Kopf bei 1,28 Litern. Die zeigen den anderen, wo der Hammer hängt. Apropos: Wussten Sie, dass der „Barthel“aus der beliebten Redewendun­g kein männlicher Vorname, sondern jiddisch für „Brechstang­e“ist? Und „Most“kein Getränk, sondern ebenfalls ein jiddisches Wort für „Geld“ist?

Marktgesch­ichten, Folge 53: Nicole Ott schreibt an dieser Stelle einmal im Monat von inspiriere­nden freizeit Gesprächen rund um saisonale Produkte und kreiert exklusiv für die ein Rezept damit.

Kuhglocken­lautend zieht der Oktober ins Land. |m Wald müssen wir manchmal Abenteuer bestehen, um die Beerenernt­e nach Hause tragen zu können. Am Markt ist das Leben einfacher, dort warten die Preiselbee­ren steigenwei­se darauf, in Leckerbiss­en verwandelt zu werden.

Ich eile über den Markt und genieße die Sonnenstra­hlen, die mir ins Gesicht scheinen. Auch wenn die hellen Stunden von Tag zu Tag abnehmen, kann die Oktoberson­ne doch noch gut wärmen. Da fällt mein Blick auf eine Schachtel tiefroter, praller Beeren. „Schau mal, es gibt frische Preiselbee­ren“, lacht Erol mich an.

Sofort denke ich an das letzte Wochenende in den Bergen. Ich konnte den Liebsten überreden, im Morgengrau­en aufzustehe­n, um eine Wanderung mit den Hunden zu unternehme­n. Welch Herbstzaub­er erwartete uns: Der Mond schien als Sichel vom Firmament, zarte Nebelschwa­den hingen im Tal, während die Bergkuppen bereits von der Morgensonn­e beleuchtet waren.

Wir wanderten schweigend dahin, nur die Kuhglocken bimmelten fröhlich drauflos. Wenn es doch nur so romantisch geblieben wäre! Aber nein, meinen Liebsten, sonst recht forsch im Leben unterwegs, verlässt der Mut, sobald er durch Kuhhorden wandern muss. Und so war er schwuppdiw­upp plötzlich im angrenzend­en Wald verschwund­en, als ein junger Stier in flottem Trab auf mich und mein altes Hundemädch­en zulief.

„De san jo nur neugierig!“, hallte in meinem Kopf, der tröstende Spruch der Einheimisc­hen, wenn sie über uns Städter und die Kuhangst schmunzeln. Die rettende Lichtung war nah und dort überrascht­e mich ein Preiselbee­rschlag, der mein Herz höher schlagen ließ. „Hast du gewusst, dass Preiselbee­ren seit prähistori­scher Zeit gesammelt werden?“, fragte ich den Liebsten. Heute werden sie „Super-Food“genannt, weil sie als Heilpflanz­e so gesund sind. Sie wachsen auch in Gegenden mit starkem Frost und können dort nur überleben, weil die Schneedeck­e isolierend wirkt. Bei uns werden sie auch Granten genannt. „Morgen backe ich uns einen Birnenkuch­en, der schmeckt mit Grantensch­leck noch besser!“, sage ich. „Das ist doch Preiselbee­rmarmelade mit Schlagober­s, oder?“, fragt er, während wir bloßfüßig durch den Fluss waten müssen, weil uns der wilde Stier auf die falsche Seite getrieben hat. Zuhause überlege ich mir, was ich aus den paar Handvoll frischer Preiselbee­ren zaubern könnte. Ich habe eine unbändige Lust auf Topfenkuch­en, dazu ein paar Löfferl frische Preiselbee­rmarmelade mit einem Hauch Orange. Oder doch innovative, buttrig-blättrige Käsescones mit frischen Preiselbee­ren, die säuerlich im Mund aufplatzen? „Mach lieber Scones“, meint der Liebste. „Die machen nicht so viel Arbeit, weil du sie nur mit frischen Früchten zubereiten kannst.“

Was der Liebste nach so vielen Jahren mit mir vom Kochen und Backen versteht, ist erstaunlic­h. Und so lassen wir uns am späten Nachmittag, müde und hungrig von der frischen Waldluft, die warmen Scones schmecken. Gut, dass wir gestern auf dem Markt frischen Sturm gekauft haben, so wird’s ein richtig gemütliche­r Herbstaben­d.

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 ?? ?? Während das Mostvierte­l auf Sortenrein­heit setzt und nur zur Birne greift, mischt man die Frucht anderswo gern mit Apfel. In der Steiermark darf es auch Apfelmost sein
Während das Mostvierte­l auf Sortenrein­heit setzt und nur zur Birne greift, mischt man die Frucht anderswo gern mit Apfel. In der Steiermark darf es auch Apfelmost sein
 ?? ?? Nicole Ott ist Köchin, Gastronomi­n und Kochbuchau­torin. Am Wiener Kutschkerm­arkt führt sie das Café Himmelblau
Nicole Ott ist Köchin, Gastronomi­n und Kochbuchau­torin. Am Wiener Kutschkerm­arkt führt sie das Café Himmelblau

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