Sollen Lohnabschlüsse die Inflation abgelten?
PRO&CONTRA
Die ungewöhnlich hohe Inflation bei gleichzeitig flauer Konjunktur macht eine gerechte Lohnfindung heuer schwierig wie nie. Ohne Inflationsabgeltung bleiben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber auf den Reallohnverlusten des Vorjahres sitzen. Der Kaufkrafterhalt ist aber gerade jetzt bitter nötig, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Dies gilt besonders für die (mehrheitlich weiblichen) Beschäftigten in den Dienstleistungsbranchen, die von Gehältern wie in der Metallindustrie nur träumen können.
Als KV-Verhandlungsbasis verwirrende Rechnungen mit Einmalbeträgen und Prozentzahlen anzubieten, bei denen sich am Ende niemand mehr auskennt, helfen hier nicht weiter. Wenn Staatshilfen wie die Abschaffung der kalten Progression in die
Lohnfindung eingepreist werden, müssten auch Coronahilfen oder die Senkung der Körperschaftssteuer gegengerechnet werden. Was kommt da noch? Das Wetter? Die Lottozahlen? Vermutlich wird es am Ende esri tuellen Kräftemessens der Metaller doch wieder nur um die berühmte Ziffer vor dem Koma gehen. Das wichtige Thema Freizeitausgleich wird wieder nur eine Randnotiz bleiben. Schade eigentlich. Die Ökonomen haben Lohnabschlüsse in Höhe der rollierenden Inf lation (9,6 Prozent) übrigens in der aktuellen Konjunkturprognose bereits eingepreist. Sie rechnen für 2024 mit einem Wachstum und einem Rückgang der Inflation auf 4 Prozent. Von wegen Lohn-Preis-Spirale.
Anita Staudacher, stellvertretende
Wirtschaftsressortleiterin
Im Prinzip ist es richtig, dass Lohnabschlüsse (zumindest) die Inf lation abgelten sollten. Dies war in den vergangenen Jahren stets der Fall – auch während der Pandemie. Es gibt aber SituaAusnahme tionen, in denen eine von der Regel berechtigt ist. Diese Ausnahme stellt die aktuelle Lage in der Industrie dar. Schon seit Monaten gehen Aufträge und Umsätze zurück. Und noch schlimmer: Der Ausblick ist schlecht. Auch nächstes Jahr droht in der Industrie eine Rezession. Somit schauen die gebotenen 2,5 Prozent Lohnerhöhung für die Metaller nur auf den ersten Blick nach Provokation aus.
Es wäre ein Pyrrhussieg der Gewerkschaft, wenn ihnen ein Abschluss nahe oder sogar über der Inflationsrate gelänge. Angesichts der trüben Aussichten würden Firmen aufgrund der steigenden Personalkosten verstärkt Mitarbeiter abbauen. Denn im internationalen Wettbewerb geraten heimische Betriebe, was ihre preisliche Konkurrenzfähigkeit betrifft, ohnehin mmer stärker unter Druck. Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo sie nicht mehr mithalten können. Oder nur durch Verlagerung der Produktion ins günstigere Ausland. Kreativität und Flexibilität seitens aller Verhandlungspartner wären daher jetzt angebracht. Und nicht nur einfach stur die antiquierte Lohnformel der verstaatlichten Industrie aus den 60er-Jahren hernehmen. Sondern etwa Mitarbeiter mittels Gewinnbeteiligung am Erfolg eines Betriebs teilhaben lassen. Oder auch mehr auf die individuelle Lage eines Unternehmens eingehen. Nicht allen geht es gleich gut oder schlecht. Robert Kleedorfer, Ressortleiter Wirtschaft