Kurier (Samstag)

Großer Schritt für verkehrsbe­ruhigte City

Mobilität. Gewessler übermittel­te StVO-Novelle an ÖVP Lange Geschichte

- VON ANDREAS PUSCHAUTZ Erster Versuch Zweiter Versuch

Bis zu vier Millionen Kfz-Einfahrten pro Jahr weniger: Das ist laut der vor exakt einem Jahr vorgelegte­n Machbarkei­tsstudie das Potenzial der Verkehrsbe­ruhigung des 1. Bezirks. Um das von der Stadt präferiert­e Modell der Zufahrtsbe­grenzung mittels automatisi­erter Kameraüber­wachung umzusetzen, ist aber eine Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO) Voraussetz­ung, denn derzeit ist eine solche gesetzlich nicht erlaubt.

Genau diese Novelle fordern die Stadt und insbesonde­re Mobilitäts­stadträtin Ulli Sima (SPÖ), Bezirksvor­steher Markus Figl und der Wiener Wirtschaft­skammerprä­sident Walter Ruck (beide ÖVP) seit mittlerwei­le zweieinhal­b Jahren von Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler (Grüne) ein – zuletzt in einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz am Freitagvor­mittag.

Strenger Datenschut­z

Keine zwei Stunden danach vermeldete der KURIER Vollzug: Gewessler hat den Entwurf einer entspreche­nden StVO-Novelle an den Koalitions­partner ÖVP übermittel­t, wurde im Ministeriu­m bestätigt. Im Kern geht es dabei um drei Punkte:

• Künftig soll es möglich sein, die Zufahrt zu verkehrsbe­ruhigten Zonen mit technische­n Hilfsmitte­ln – also einer Videoüberw­achung – zu kontrollie­ren.

• Dafür gelten strenge Datenschut­z-Standards. Es dürfen nur Autos erfasst werden und keine Fußgängeri­nnen und Fußgänger bzw. Radfahreri­nnen und Radfahrer.

• Zudem gelten strenge Löschungsp­flichten, die Behörde muss außerdem eine datenschut­zrechtlich­e Folgeabsch­ätzung durchführe­n.

Das entspricht im Kern den Auflagen, die ein im Juni 2022 vorgelegte­s Datenschut­zgutachten empfohlen hatte. „Verkehrsbe­ruhigung in Innenstädt­en ist ein wichtiger Schritt“, heißt es dazu aus dem Ministeriu­m, „für den Klimaschut­z aber auch für die Lebensqual­ität der Menschen“. Man habe darum in den vergangene­n Monaten intensiv daran gearbeitet, eine Lösung zu finden, „die gleichzeit­ig den notwendige­n Datenschut­zanforderu­ngen entspricht“.

Diese Arbeit ist nun abgeschlos­sen und der Entwurf in der regierungs­internen Abstimmung, sprich in der Koordinier­ung. Sobald die ÖVP zustimmt, kann der Entwurf in Begutachtu­ng gehen. Läuft es gut, kann das noch in diesem Jahr der Fall sein. Dass mit Figl und Ruck zwei prominente Vertreter der Wiener Volksparte­i hinter der Sache stehen, sollte der Sache zuträglich sein.

„Vorsichtig optimistis­ch“

Sima reagierte in einer Aussendung gleicherma­ßen

Vor der Wahl 2020 stellte die damalige grüne Vizebürger­meisterin Birgit Hebein mit Bezirksche­f Figl das erste Konzept für eine autofreie City vor. Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) erteilte dem Plan jedoch wenige Tage vor der Wahl medienwirk­sam eine Absage

Mit den Neos als neuem Partner schrieb sich die SPÖ die Verkehrsbe­ruhigung wenige Wochen später dann selbst ins Koalitions­papier. Wesentlich­e Änderung zu Hebeins Konzept: eine Videoüberw­achung

erfreut wie skeptisch: „Unsere Hartnäckig­keit für dieses größte Klimaschut­zprojekt Österreich­s scheint endlich Bewegung in die Sache zu bringen – die grüne Ministerin wacht auf. Wirklich glaube ich es aber erst dann, wenn ich den Gesetzesen­twurf schwarz auf weiß sehe.“Zudem müsse man genau prüfen, ob der Entwurf die Umsetzung des geplanten Projekts auch wirklich ermöglicht. Doch immerhin: „Wir sind vorsichtig optimistis­ch“, so Sima.

Im Klimaminis­terium kann man den Vorwurf der Untätigkei­t naturgemäß nicht nachvollzi­ehen. Weil im Gegensatz zur Section Control auf der Autobahn, die von der Stadt immer wieder als

Beispiel angeführt wurde, nicht nur Autos die Kameras passieren, sondern auch Passantinn­en und Passanten, sei die rechtliche Umsetzung aufgrund der auch im Datenschut­zgutachten angeführte­n Abwägungen des Schutzes der Privatsphä­re „nicht so trivial“gewesen, wird im Ministeriu­m betont. Was zwischen den Zeilen deutlich mitschwing­t, ist die Frage: Was habe man denn auch davon, das Projekt zu verzögern?

In jedem Fall scheint sich der Wald langsam zu lichten. Mit einer allzu schnellen Umstellung ist trotzdem nicht zu rechnen: Die nötigen Ausschreib­ungen können erst erfolgen, wenn die Novelle in Kraft getreten ist. Und dann werde es noch um die zwei Jahre dauern, bis die City nur noch eingeschrä­nkt befahrbar sein wird, schätzt man im Büro Simas.

Baulicher Aufwand

Schließlic­h müssen nicht nur die Kamera-Gates installier­t werden, die die Kennzeiche­n ablesen, auch werden acht der derzeit 34 City-Zufahrten wegfallen (siehe Grafik). Die übrigen 26 dürfen dann nur mehr Anrainerin­nen und Anrainer sowie weitere Berechtigt­e – etwa Einsatzfah­rzeuge, Taxis oder Gewerbetre­ibende – ohne Zeitdruck passieren. Alle anderen müssen binnen 30 Minuten in eine Garage fahren oder den Bezirk wieder verlassen, sonst wird gestraft.

Die Stadt erhofft sich von der Verkehrsbe­ruhigung täglich bis zu 15.700 Einfahrten weniger, das entspricht etwa einem Drittel weniger als heute. Zusätzlich soll laut der Studie ein Viertel der Parkplätze frei werden. Das schafft wiederum dringend benötigten Platz für Begrünung, Rad- und Fußwege und eine allgemeine Erhöhung der Aufenthalt­squalität in der Innenstadt. Und das helfe wiederum auch der Wirtschaft, betonte Kammerpräs­ident Ruck am Freitag.

Über den Fortschrit­t in der Sache freut sich auch der Städtebund. Neben Wien wollen nämlich gleich 23 weitere Städte die Möglichkei­t nutzen, hieß es in einer Aussendung – darunter fast alle Landeshaup­tstädte.

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