Großer Schritt für verkehrsberuhigte City
Mobilität. Gewessler übermittelte StVO-Novelle an ÖVP Lange Geschichte
Bis zu vier Millionen Kfz-Einfahrten pro Jahr weniger: Das ist laut der vor exakt einem Jahr vorgelegten Machbarkeitsstudie das Potenzial der Verkehrsberuhigung des 1. Bezirks. Um das von der Stadt präferierte Modell der Zufahrtsbegrenzung mittels automatisierter Kameraüberwachung umzusetzen, ist aber eine Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) Voraussetzung, denn derzeit ist eine solche gesetzlich nicht erlaubt.
Genau diese Novelle fordern die Stadt und insbesondere Mobilitätsstadträtin Ulli Sima (SPÖ), Bezirksvorsteher Markus Figl und der Wiener Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck (beide ÖVP) seit mittlerweile zweieinhalb Jahren von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) ein – zuletzt in einer gemeinsamen Pressekonferenz am Freitagvormittag.
Strenger Datenschutz
Keine zwei Stunden danach vermeldete der KURIER Vollzug: Gewessler hat den Entwurf einer entsprechenden StVO-Novelle an den Koalitionspartner ÖVP übermittelt, wurde im Ministerium bestätigt. Im Kern geht es dabei um drei Punkte:
• Künftig soll es möglich sein, die Zufahrt zu verkehrsberuhigten Zonen mit technischen Hilfsmitteln – also einer Videoüberwachung – zu kontrollieren.
• Dafür gelten strenge Datenschutz-Standards. Es dürfen nur Autos erfasst werden und keine Fußgängerinnen und Fußgänger bzw. Radfahrerinnen und Radfahrer.
• Zudem gelten strenge Löschungspflichten, die Behörde muss außerdem eine datenschutzrechtliche Folgeabschätzung durchführen.
Das entspricht im Kern den Auflagen, die ein im Juni 2022 vorgelegtes Datenschutzgutachten empfohlen hatte. „Verkehrsberuhigung in Innenstädten ist ein wichtiger Schritt“, heißt es dazu aus dem Ministerium, „für den Klimaschutz aber auch für die Lebensqualität der Menschen“. Man habe darum in den vergangenen Monaten intensiv daran gearbeitet, eine Lösung zu finden, „die gleichzeitig den notwendigen Datenschutzanforderungen entspricht“.
Diese Arbeit ist nun abgeschlossen und der Entwurf in der regierungsinternen Abstimmung, sprich in der Koordinierung. Sobald die ÖVP zustimmt, kann der Entwurf in Begutachtung gehen. Läuft es gut, kann das noch in diesem Jahr der Fall sein. Dass mit Figl und Ruck zwei prominente Vertreter der Wiener Volkspartei hinter der Sache stehen, sollte der Sache zuträglich sein.
„Vorsichtig optimistisch“
Sima reagierte in einer Aussendung gleichermaßen
Vor der Wahl 2020 stellte die damalige grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein mit Bezirkschef Figl das erste Konzept für eine autofreie City vor. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) erteilte dem Plan jedoch wenige Tage vor der Wahl medienwirksam eine Absage
Mit den Neos als neuem Partner schrieb sich die SPÖ die Verkehrsberuhigung wenige Wochen später dann selbst ins Koalitionspapier. Wesentliche Änderung zu Hebeins Konzept: eine Videoüberwachung
erfreut wie skeptisch: „Unsere Hartnäckigkeit für dieses größte Klimaschutzprojekt Österreichs scheint endlich Bewegung in die Sache zu bringen – die grüne Ministerin wacht auf. Wirklich glaube ich es aber erst dann, wenn ich den Gesetzesentwurf schwarz auf weiß sehe.“Zudem müsse man genau prüfen, ob der Entwurf die Umsetzung des geplanten Projekts auch wirklich ermöglicht. Doch immerhin: „Wir sind vorsichtig optimistisch“, so Sima.
Im Klimaministerium kann man den Vorwurf der Untätigkeit naturgemäß nicht nachvollziehen. Weil im Gegensatz zur Section Control auf der Autobahn, die von der Stadt immer wieder als
Beispiel angeführt wurde, nicht nur Autos die Kameras passieren, sondern auch Passantinnen und Passanten, sei die rechtliche Umsetzung aufgrund der auch im Datenschutzgutachten angeführten Abwägungen des Schutzes der Privatsphäre „nicht so trivial“gewesen, wird im Ministerium betont. Was zwischen den Zeilen deutlich mitschwingt, ist die Frage: Was habe man denn auch davon, das Projekt zu verzögern?
In jedem Fall scheint sich der Wald langsam zu lichten. Mit einer allzu schnellen Umstellung ist trotzdem nicht zu rechnen: Die nötigen Ausschreibungen können erst erfolgen, wenn die Novelle in Kraft getreten ist. Und dann werde es noch um die zwei Jahre dauern, bis die City nur noch eingeschränkt befahrbar sein wird, schätzt man im Büro Simas.
Baulicher Aufwand
Schließlich müssen nicht nur die Kamera-Gates installiert werden, die die Kennzeichen ablesen, auch werden acht der derzeit 34 City-Zufahrten wegfallen (siehe Grafik). Die übrigen 26 dürfen dann nur mehr Anrainerinnen und Anrainer sowie weitere Berechtigte – etwa Einsatzfahrzeuge, Taxis oder Gewerbetreibende – ohne Zeitdruck passieren. Alle anderen müssen binnen 30 Minuten in eine Garage fahren oder den Bezirk wieder verlassen, sonst wird gestraft.
Die Stadt erhofft sich von der Verkehrsberuhigung täglich bis zu 15.700 Einfahrten weniger, das entspricht etwa einem Drittel weniger als heute. Zusätzlich soll laut der Studie ein Viertel der Parkplätze frei werden. Das schafft wiederum dringend benötigten Platz für Begrünung, Rad- und Fußwege und eine allgemeine Erhöhung der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt. Und das helfe wiederum auch der Wirtschaft, betonte Kammerpräsident Ruck am Freitag.
Über den Fortschritt in der Sache freut sich auch der Städtebund. Neben Wien wollen nämlich gleich 23 weitere Städte die Möglichkeit nutzen, hieß es in einer Aussendung – darunter fast alle Landeshauptstädte.