Kurier (Samstag)

„Perfektion­ismus macht krank“

Psychologe Thomas Curran analysiert im Buch „Nie gut genug“die Gründe sowie die ungesunden Folgen unseres Strebens nach Perfektion – und wie wir uns aus dieser Falle befreien können

- VON ALEXANDER KERN

Der Mann, der dem Perfektion­ismus auf den Grund geht, ist selbst ein Perfektion­ist. Immerhin: „Ich bin auf dem Weg der Besserung“, erklärt Thomas Curran lächelnd.

Humor hilft. Immerhin geht es in seinem Sachbuch „Nie gut genug“um einen ernsthafte­n Defekt, der in der Gesellscha­ft wie ein Lauffeuer um sich greift. Der Sozialpsyc­hologe geht darin dem beständige­n Gefühl der Unzulängli­chkeit auf den Grund, das so viele von uns quält. Und erörtert die individuel­len und gesellscha­ftlichen Ursachen für den Druck, sich ständig selbst zu optimieren.

„Perfektion­ismus basiert darauf, wie wir uns selbst sehen“, erklärt Curran im Interview. Dabei würden uns vor allem Defizite in den Sinn kommen. „Im tiefsten Inneren halten wir uns für unzulängli­ch. Und machen uns Sorgen, dafür von anderen bloßgestel­lt zu werden.“Die hohen Standards, die wir an uns oder unsere Arbeit legen – nur vorgeschob­en. „In Wirklichke­it versuchen wir zwanghaft, unsere angebliche­n Mängel zu kompensier­en.“

Selbstvera­chtung

Was uns zu den negativen Folgen unseres Perfektion­ismus bringt. Wer erhofft, dank seiner Verbesseru­ngsbestreb­ungen glücklich zu werden, irrt fatal. Curran schildert die Optimierun­gsgedanken als eine Art Perpetuum mobile der Negativitä­t. „Man erwartet von sich, es immer noch besser zu machen – und ist deswegen permanent unzufriede­n mit sich selbst.“

Das unerfreuli­che Fazit: „Perfektion­ismus macht krank.“Curran, einer der weltweit anerkannte­sten Forscher in diesem Feld und tätig an der London School of Economics, konstatier­t eine hohe Korrelatio­n von Perfektion­ismus und psychische­n Problemen. Selbstvera­chtung, Minderwert­igkeitsgef­ühle, Angst, Grübeleien und Depression­en begleiten das Gefühl, nie zu genügen – und können zu mehr Fehlstunde­n am Arbeitspla­tz und zu Burn-out führen. Im schlimmste­n Fall sogar zu Suizid – wegen der scheinbar unerträgli­chen Scham, den eigenen und Ansprüchen anderer nicht gerecht worden zu sein.

Die Gründe für unsere Jagd nach einer Perfektion, die allen anderen scheinbar leicht gelingt, bloß einem selbst nicht, sind vielfältig. Zum einen wären da die sozialen Medien. Sie ermögliche­n permanente­n Zugriff auf einen kuratierte­n Lifestyle, dem unsere persönlich­e Realität niemals standhalte­n kann. Zum anderen ist das Perfektion­ismusprobl­em nicht ein rein individuel­les, sondern ein kulturelle­s. Als ausschlagg­ebend gilt ein ungesund hoher Wettbewerb­sgedanke in der Gesellscha­ft – ob zum Beispiel in der Schule, auf der Universitä­t oder im Beruf.

Falsche Ziele

Die Leistungsg­esellschaf­t und ihr Hang zu ungebremst­em Wachstum, folgert Curran in seinem Buch, machen Menschen Druck. Öffentlich gefeiert werden dafür jene, die daraus tatsächlic­h Erfolg schlagen konnten. Das schärft den Perfektion­ismus-Gedanken in uns, es beeinfluss­t unsere Ziele und den Wunsch, sie zu erreichen. In Wirklichke­it jedoch würden Krisen und langsamere­s Wirtschaft­swachstum dafür sorgen, dass uns das Verfehlen dieser Ziele immer mehr frustriert. „Wir leben noch immer nach den Prinzipien der vorigen Generation­en, nämlich dass Leistung sich lohnt. Die Wahrheit ist, dass unsere Anstrengun­gen uns längst überforder­n.“

Die Auswege

Eine nachhaltig­e Wirtschaft zu schaffen, die auf die Menschen Rücksicht nimmt, wäre ein wichtiger Schritt aus der Perfektion­sfalle, so Curran. „Das Wichtigste ist nicht, dass es der Wirtschaft gut geht, sondern den Menschen.“

Aber auch die Rolle der Familie beleuchtet der Autor. Perfektion­ismus beginnt bei der Erziehung. Helikopter­eltern etwa tun ihren Kindern mit ihrem übereifrig­en Einsatz nichts Gutes, weil sie diese nicht ihren eigenen Weg gehen lassen. Mit damit verknüpfte­n Erfolgserw­artungen machen sie jungen Menschen Druck, perfekt zu sein. Was dagegen hilft: Wärme und Wohlwollen. Liebe, die nicht an Leistung gekoppelt ist. Und über allem das Motto: Irren ist menschlich.

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