Kurier (Samstag)

Der Sammelpart­ei bröseln die Wähler weg

Südtirol. Seit 1948 regiert die Volksparte­i in Südtirol. Bei der Wahl am Sonntag drohen ihr drastische Stimmenver­luste, ihr Alleinvert­retungsans­pruch der deutschspr­achigen Bevölkerun­g ist in Gefahr

- AUS BOZEN ANNA PERAZZOLO

Wer will, hat es leicht, in Südtirol die morgige Landtagswa­hl auszublend­en. Für lokale Medien gibt es Alternativ­en aus Norden und Süden. Und die wenigen aufgehängt­en Wahlplakat­e blättern schon vor der Wahl ab. Das Bild passt zur wahrgenomm­enen Wahlmüdigk­eit: „Es zahlt sich nicht aus“, „es ändert sich sowieso nichts“und „von denen kann man niemanden wählen“sind Sätze, die man dieser Tage dauernd hört.

Dabei ist die heurige Wahl so spannend wie noch nie. Der seit 1948 regierende­n Südtiroler Volksparte­i (SVP) drohen deutliche Stimmenver­luste. Kam die Partei bei der Wahl 2018 trotz Minus noch auf stolze 41,9 Prozent, könnten es laut Umfragen heuer deutlich weniger werden. Zwischen 32 und 35 wurden prognostiz­iert. Dazu kommt, dass heuer ganze 16 Parteien um den Einzug in den Landtag rittern.

Die Sammelpart­ei

Die Partei läuft also Gefahr, ihren Alleinvert­retungsans­pruch der deutschen Sprachgrup­pe in Südtirol zu verlieren, sagt Politologe Günther Pallaver. „Bestimmte Fraktionen, die früher innerhalb der SVP aktiv waren, artikulier­en sich nun außerhalb. Die Partei schafft es nicht mehr, alle Interessen unter einen Hut zu bringen.“

Um den Anspruch der ethischen Sammelpart­ei nicht zu verlieren, schürte die SVP im Wahlkampf die Angst vor der „Instabilit­ät“und dem „Chaos“. In die gleiche Kerbe schlägt auch der Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r (SVP) kurz vor der Wahl in Bozen: „Wir wollen die Regierbark­eit des Landes gewährleis­ten. Die Geschlosse­nheit ist die Stärke Südtirols“, sagt er. Gemeint ist damit nicht mehr nur die Geschlosse­nheit in der Vertretung gegenüber der Regierung in Rom, sondern auch die Geschlosse­nheit innerhalb der deutschspr­achigen Bevölkerun­g, so Politologe Pallaver.

Geschlosse­nheit ist aber etwas, das die SVP selbst zuletzt nicht gerade ausgezeich­net hat. Geprägt von Konflikten und Skandalen hat die Partei ein „deplorable­s Bild“ gezeigt, sagt Politologe Pallaver. Die Partei ist gespalten: In einen soziallibe­ralen Flügel rund um den Landeshaup­tmann und einen sozialkons­ervativen Flügel, der viele seiner Vorhaben blockiert. Dass es diese Konflikte gibt, „muss man anerkennen“, sagt auch der Landeshaup­tmann. Und dennoch: „Die Sammelpart­ei ist die Antwort auf eine immer weiter auseinande­rdriftende Gesellscha­ft.“

Eines der Themen, das Südtirol zuletzt spaltete, war die Migration. „Der Minderheit­enschutz und die Autonomie sind kaum noch Thema. An die Stelle der Majorisier­ung durch die Italiener ist das Thema Migration getreten“, sagt Pallaver. Und auf diesem Gebiet, vor allem in Bezug auf die Sicherheit, sind sich die inhaltlich­en Ansätze vieler Parteien sehr ähnlich – seien es deutsche wie italienisc­he.

Mitläufere­ffekt

Apropos italienisc­he Parteien: „Ihre Wähler orientiere­n sich an den Regierungs­parteien in Rom, wie Mitläufer“, sagt Pallaver. War es bei der vergangene­n Wahl die Lega, die es sogar in die Koalition mit der SVP geschafft hat, dürfte heuer die Partei von Giorgia Meloni, Fratelli d’Italia, Zuwächse erfahren.

Eine Gemeinde, in der sich das zeigen könnte, ist Branzoll. Sie ist eine jener vier Gemeinden, in denen die Lega 2018 sogar zur stärksten Kraft wurde. Im Café „Manfredo“spricht derzeit aber niemand davon. Im Gegenteil: Viele wollen gar nicht wählen, weil sie „enttäuscht“sind von der Politik. Ein Herr will „aus Protest“die Grünen wählen, denen der Politologe und die Umfragen nur ein kleines Plus prognostiz­ieren. Eine der Kellnerinn­en im Café hat gar nicht mitbekomme­n, dass Wahlen sind.

So richtig glauben will die Lega das nicht. Mit einem Wahlstand kämpft sie weiter um die Gemeinde. Und ihre Chancen, wieder in die Regierung zu kommen, stehen nicht schlecht. „Es ist denkbar, dass die SVP mit den Fratelli und der Lega koaliert“, sagt Pallaver. Das Autonomies­tatut sieht schließlic­h vor, dass die deutsche und die italienisc­he Sprachgrup­pe in der Regierung vertreten sind. Eine italienisc­he Linke gibt es aber so gut wie nicht und mit einer deutschspr­achigen Partei als Koalitions­partner würde die SVP ihren Alleinvert­retungsans­pruch verlieren.

Dass die SVP wieder stärkste Kraft im Land wird, ist kaum zu bezweifeln. Wie groß der Stimmenver­lust wird, ist eher die Frage.

Entscheide­n werden das die Wählerinne­n und Wähler. „Rund 25 Prozent scheinen nicht zur Wahl zu gehen“, sagt Pallaver. Neu ist das nicht. Auch in vergangene­n Wahljahren verhielt sich das so. Die Wahlmüdigk­eit eben.

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Schon vor der Wahl blättern in Bozen die Wahlplakat­e ab. 16 Parteien rittern heuer um den Einzug in den Südtiroler Landtag
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Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r (SVP)

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