Kurier (Samstag)

Putins apokalypti­sche Drohung

Atomtest. Russland macht bisher verbotene Nukleartes­ts möglich. Für Experten ist das mehr als nur Säbelrasse­ln

- VON EVELYN PETERNEL

Im russischen TV hat man den Eindruck, als wäre es schon so weit. „Eine nukleare Explosion über Sibirien, da passiert ja nichts“, sagt Margarita Simonjan, Chefin des Medienries­en RT. Der Westen brauche dieses atomare Ultimatum, dann sei endlich Ruhe in der Ukraine.

Simonjan ist Wladimir Putins Chefpropag­andistin. Was sie und ihre Kollegen in den vergangene­n Wochen machten, folgt einem immer gleichen Schema: Zunächst werden unbedeuten­de Abgeordnet­e vorgeschic­kt, die eine radikale Idee formuliere­n, danach folgen die medialen Scharfmach­er. Und dann sagt Wladimir Putin, ihn erreichten zuletzt Wünsche der Bürger; denen werde er nachgeben.

In einer Reihe mit Nordkorea

Im konkreten Fall heißt das: Russland will wieder Atomtests durchführe­n. Die Duma hat deshalb in dieser Woche den Umfassende­n Atomtestst­opp-Vertrag (CTBT) aufgekündi­gt, mit dem seit 1996 Nukleartes­ts weltweit geächtet worden waren. Putins Unterschri­ft darauf ist nur noch Formsache.

Offiziell begründet man den Schritt damit, dass man mit den USA gleichzieh­en wolle. Die haben den Vertrag zwar unterschri­eben, der Kongress hat ihn aber nie ratifizier­t. Allerdings haben die USA sich seit Ende der 1990er-Jahre trotzdem daran gehalten, also keine Tests mehr durchgefüh­rt. Das gilt auch für alle anderen Atommächte – außer Nordkorea: Pjöngjang führte zwischen 2006 und 2017 Kernwaffen­tests durch und wurde internatio­nal dafür gescholten – auch von Putin.

Heißt das nun, dass Moskau demnächst Sprengköpf­e explodiere­n lassen wird? Putin selbst verhält sich in der Frage widersprüc­hlich, teils signalisie­rt er Skepsis, dann wieder Offenheit. Das ist wohl Kalkül: Er lässt bewusst offen, was Russland tun wird – und verunsiche­rt so die westliche Öffentlich­keit.

Experten bewerten dieses Verhalten dementspre­chend als Erpressung­sversuch, ebenso wie die vielfachen Nukleardro­hungen aus seinem Umfeld, die seit Kriegsbegi­nn immer wieder zu hören waren. Sie hätten das militärisc­he Engagement des Westens – und vor allem Europas – in der Ukraine deutlich gedämpft, analysiert das Friedensfo­rschungsin­stitut SIPRI.

Der jüngste Schritt geht da noch weiter. Ein tatsächlic­her Atomtest wäre ein deutlicher­es Signal als die Brandreden russischer Propagandi­sten. Damit würde Moskau demonstrie­ren, dass man den Tod Tausender Zivilisten in Kauf nimmt.

Nuklearexp­erten sehen darin einen „Schritt Richtung dunklere Zeiten“, wie Andrej Baklitskij vom UNInstitut für Abrüstungs­forschung schreibt. Der Vertrag war eines der letzten internatio­nalen Rüstungsve­rträge, an die sich Russland gehalten hat, die Aufkündigu­ng markiert den Endpunkt eines Trends. Seit 2021 ist Moskau aus gleich drei Rüstungsko­ntrollvert­rägen ausgestieg­en, darunter das wichtige New START-Abkommen, das die Reduktion strategisc­her Nuklearwaf­fen vorschrieb. „Wir wissen nicht, wann und welche Schritte folgen“, so Baklitskij. „Aber wir wissen, wo dieser Weg endet. Und da wollen wir nicht hin.“

Vorbereitu­ngen laufen

In Russland laufen jedenfalls Vorbereitu­ngen für Atomtests, das sieht man auf Satelliten­bildern. In Nowaja Semlja, wo schon die UdSSR Nuklearwaf­fen gesprengt hat, wurde mehr Aktivität registrier­t, heißt es von SIPRI. Selbiges gilt aber auch für die USA und China, und das seit Jahren.

In Sibirien, wo das Testgeländ­e Nowaja Semlja liegt, hat man wenig Freude damit. Als Putin-Propagandi­stin Simonjan von Explosione­n schwärmte, gab sich der Bürgermeis­ter von Novosibirs­k höchst irritiert. Der Politiker – ein Physiker – sagte: „Es gibt einfach nichts Gutes an nuklearen Explosione­n.“

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Machtdemon­stration: eine Interkonti­nentalrake­te mit Nuklearspr­engkopf

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