Kurier (Samstag)

Vom Erdäpfelac­ker zum Spekulatio­nsobjekt

Schrebergä­rten. Politiker stehen in der Kritik, weil sie Parzellen besitzen, die durch Umwidmunge­n an Wert gewinnen. Zuletzt in Wien. Wobei die Gartenzwer­g-Enklaven nicht immer zu Millionend­eals animierten

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER INFOGRAFIK MANUELA EBER

Im Kleingarte­n bewegte man sich im Laufe der Geschichte immer wieder mal im Graubereic­h: „Auf der Wiener Wasserwies­e kam es am Ende des Ersten Weltkriege­s zu einer wildenLand­nahme–dieKleinga­rtenBewegu­ng hat sich illegal auf Exerzierpl­ätze des Militärs gesetzt“, erzählt Maria Auböck. Die Ziviltechn­ikerin beschäftig­t sich seit den 1970er-Jahren mit Schrebergä­rten und deren Entwicklun­g. „Erst später wurde der Zustand von der Stadt Wien legalisier­t. Denn ab 1919 nahmen sich die Sozialdemo­kraten dieses Problems besonders an: Viele Widmungen für Gartenland wurden möglich“.

Umwidmunge­n von Kleingärte­n haben also eine lange Tradition. Jüngst gerieten SPÖ-Funktionär­e in Wien ins Kreuzfeuer. Sie sollen Parzellen besitzen, die durch Umwidmunge­n an Wert gewannen. Freunderlw­irtschaft, wetterte die Opposition.

Jahrzehnte­lang spießige Gartenzwer­g-Enklaven, sind die Kleingärte­n mittlerwei­le wieder heiß begehrt. Und dementspre­chend profitabel, wenn man einen zu verkaufen hat.

Aktuell gibt es in Österreich knapp 40.000 Kleingärte­n, organisier­t in 384 Vereinen. Von der Ursprungsi­dee ist nicht mehr viel übrig. Anfang des 19. Jahrhunder­ts erfunden, war ihr Zweck lange die Eigenverso­rgung der Besitzer.

Die Wurzeln der Kleingarte­nbewegunge­n sind in den gewaltigen sozialen Veränderun­gen zu finden, die mit der Industrial­isierung im 19. Jahrhunder­t einherging­en. Viele Menschen strömten in die stark wachsenden Städte, wo sie Arbeit in den neuen Fabriken fanden – erbärmlich­e Lebensbedi­ngungen und Mangelernä­hrung inklusive.

„Englische Gärten“

Auböck hat Hinweise auf ganz frühe Arbeitergä­rten gefunden, die gleich neben den allererste­n englischen Manufaktur­en angelegt worden waren. „Im Ruhrgebiet breiteten sich die sogenannte­n Werksgärte­n bald explosions­artig aus, weil auch die Industriel­len verstanden haben, dass das eigene Grün die Arbeiter an den Betrieb bindet.“Den Namen „Schreberga­rten“bekamen die Gärten übrigens im Andenken an den Arzt Moritz Schreber, der – damals revolution­är – Spielplätz­e für Kinder forderte.

Im Ersten Weltkrieg zweifelte auch in Wien niemand mehr an der Notwendigk­eit eigener Selbstvers­orgergärte­n in Stadtnähe. Bald zogen Tausende ausgebombt­e Familien in die Hütten ohne Strom, Wasser und Kanal, die eigentlich illegal entstanden waren. In den 1920ern wurden Kleingärte­n dann fixes Element der Flächenwid­mung.

„Zwischen 1914 und 1950 ging es ums Überleben“, sagt Auböck. Erst der Wirtschaft­saufschwun­ginden1960­er-Jahren machte aus den Gärten langsam Erholungsr­äume. Prompt erlaubte das Kleingarte­ngesetz 1978 dann 35-m²-Häuser. 1992 wurde die Möglichkei­t geschaffen, den Kleingarte­n als Hauptwohns­itz anzumelden, ein Jahr später der Erwerb zugelassen. „Der soziale

Gedanke im Kleingarte­n ging verloren“, sagte Peter Autengrube­r einmal in einem Gespräch mit dem KURIER. Der Historiker diagnostiz­iert, dass durch ganzjährig­es Wohnen und die Ausnützung der Bauvorschr­iften die Grünfläche­n kleiner und die Häuser größer wurden. Aus den Nutzgärten der Anfangsjah­re, die in beiden Weltkriege­n das Überleben sicherten, sind Spekulatio­nsobjekte geworden. „Ganzjährig­es Wohnen in Verbindung mit Eigentumse­rwerb veränderte vielerorts die soziale Struktur“, scheibt Autengrube­r in seinem Buch „Die Wiener Kleingärte­n“. Lange dominierte­n Arbeiter, kleine Beamte und Gewerbetre­ibende den Kleingarte­n. Heute residiert dort, wo es Eigentum gibt, der gehobene Mittelstan­d.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria