Vom Erdäpfelacker zum Spekulationsobjekt
Schrebergärten. Politiker stehen in der Kritik, weil sie Parzellen besitzen, die durch Umwidmungen an Wert gewinnen. Zuletzt in Wien. Wobei die Gartenzwerg-Enklaven nicht immer zu Millionendeals animierten
Im Kleingarten bewegte man sich im Laufe der Geschichte immer wieder mal im Graubereich: „Auf der Wiener Wasserwiese kam es am Ende des Ersten Weltkrieges zu einer wildenLandnahme–dieKleingartenBewegung hat sich illegal auf Exerzierplätze des Militärs gesetzt“, erzählt Maria Auböck. Die Ziviltechnikerin beschäftigt sich seit den 1970er-Jahren mit Schrebergärten und deren Entwicklung. „Erst später wurde der Zustand von der Stadt Wien legalisiert. Denn ab 1919 nahmen sich die Sozialdemokraten dieses Problems besonders an: Viele Widmungen für Gartenland wurden möglich“.
Umwidmungen von Kleingärten haben also eine lange Tradition. Jüngst gerieten SPÖ-Funktionäre in Wien ins Kreuzfeuer. Sie sollen Parzellen besitzen, die durch Umwidmungen an Wert gewannen. Freunderlwirtschaft, wetterte die Opposition.
Jahrzehntelang spießige Gartenzwerg-Enklaven, sind die Kleingärten mittlerweile wieder heiß begehrt. Und dementsprechend profitabel, wenn man einen zu verkaufen hat.
Aktuell gibt es in Österreich knapp 40.000 Kleingärten, organisiert in 384 Vereinen. Von der Ursprungsidee ist nicht mehr viel übrig. Anfang des 19. Jahrhunderts erfunden, war ihr Zweck lange die Eigenversorgung der Besitzer.
Die Wurzeln der Kleingartenbewegungen sind in den gewaltigen sozialen Veränderungen zu finden, die mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert einhergingen. Viele Menschen strömten in die stark wachsenden Städte, wo sie Arbeit in den neuen Fabriken fanden – erbärmliche Lebensbedingungen und Mangelernährung inklusive.
„Englische Gärten“
Auböck hat Hinweise auf ganz frühe Arbeitergärten gefunden, die gleich neben den allerersten englischen Manufakturen angelegt worden waren. „Im Ruhrgebiet breiteten sich die sogenannten Werksgärten bald explosionsartig aus, weil auch die Industriellen verstanden haben, dass das eigene Grün die Arbeiter an den Betrieb bindet.“Den Namen „Schrebergarten“bekamen die Gärten übrigens im Andenken an den Arzt Moritz Schreber, der – damals revolutionär – Spielplätze für Kinder forderte.
Im Ersten Weltkrieg zweifelte auch in Wien niemand mehr an der Notwendigkeit eigener Selbstversorgergärten in Stadtnähe. Bald zogen Tausende ausgebombte Familien in die Hütten ohne Strom, Wasser und Kanal, die eigentlich illegal entstanden waren. In den 1920ern wurden Kleingärten dann fixes Element der Flächenwidmung.
„Zwischen 1914 und 1950 ging es ums Überleben“, sagt Auböck. Erst der Wirtschaftsaufschwunginden1960er-Jahren machte aus den Gärten langsam Erholungsräume. Prompt erlaubte das Kleingartengesetz 1978 dann 35-m²-Häuser. 1992 wurde die Möglichkeit geschaffen, den Kleingarten als Hauptwohnsitz anzumelden, ein Jahr später der Erwerb zugelassen. „Der soziale
Gedanke im Kleingarten ging verloren“, sagte Peter Autengruber einmal in einem Gespräch mit dem KURIER. Der Historiker diagnostiziert, dass durch ganzjähriges Wohnen und die Ausnützung der Bauvorschriften die Grünflächen kleiner und die Häuser größer wurden. Aus den Nutzgärten der Anfangsjahre, die in beiden Weltkriegen das Überleben sicherten, sind Spekulationsobjekte geworden. „Ganzjähriges Wohnen in Verbindung mit Eigentumserwerb veränderte vielerorts die soziale Struktur“, scheibt Autengruber in seinem Buch „Die Wiener Kleingärten“. Lange dominierten Arbeiter, kleine Beamte und Gewerbetreibende den Kleingarten. Heute residiert dort, wo es Eigentum gibt, der gehobene Mittelstand.