Kurier (Samstag)

Abtreibung­en: Frauen zwischen den Fronten WAS ÖSTERREICH

Schwangers­chaftsabbr­uch. Kürzlich gingen Abtreibung­sgegner in Wien auf die Straße. Gleichzeit­ig fordern Befürworte­r seit Jahrzehnte­n das Recht auf Selbstbest­immung. Die betroffene­n Frauen geraten dazwischen

- VON STEPHANIE ANGERER UND ANNA PERAZZOLO

Zum Sex hat sich Katharina (Name geändert) mit ihrem Freund in Stundenhot­els getroffen. Mit 17 Jahren wurde sie schwanger – und wusste, sie konnte das Kind nicht behalten. „Ich habe abgetriebe­n. Erzählt hab’ ich das damals fast niemandem“, sagt die heute 75-Jährige.

Schwangers­chaftsabbr­üche galten nicht nur in den

„Beim Schwangers­chaftsabbr­uch stehen sich zwei Grundrecht­e gegenüber“Benedikt-Johannes Hostenkamp Gynäkologe

als Tabu, sondern auch heute noch. Wie sehr das Thema polarisier­t, zeigte sich erst vergangene­s Wochenende: Beim „Marsch für das Leben“zogen laut Veranstalt­er rund 3.000 Teilnehmer mit Blaskapell­e und Sprechchör­en durch die Wiener Innenstadt.

Auch wenn es dagegen immer wieder zu Protesten kommt, rechtlich ist eine Abtreibung in Österreich innerhalb der ersten drei Monate möglich (siehe unten). In der Praxis ist es aber oft schwierige­r. Vor allem im Westen.

Suche nach Nachfolger

Vorarlberg etwa könnte schon bald ohne Arzt dastehen. Benedikt-Johannes Hostenkamp, der einzige Gynäkologe, der derzeit Schwangers­chaftsabbr­üche durchführt, ist im August 71 Jahre alt geworden und will mit Anfang 2024 in Pension gehen. Angekündig­t hat er das bereits vor über einem Jahr.

Passiert ist auf politische­r Ebene seitdem kaum etwas. Zwar wurde eine Praxis für künftige Schwangers­chaftsabbr­üche gefunden, der Umbau dauert aber bis Ende 2024. Als Übergangsl­ösung sprach sich die Vorarlberg­er Gesundheit­slandesrät­in Martina Rüscher (ÖVP) für eine Privatordi­nation im Krankenhau­s aus. Die Weichen waren schon gestellt, zurückgepf­iffen wurde Rüscher dann aber von der eigenen Partei. Als sich dann auch noch der Bischof dagegen aussprach, war das Projekt Geschichte.

Ganz ähnlich die Situation in Tirol: Die SPÖ-Sozialland­esrätin Eva Pawlata forderte Schwangers­chaftsabbr­üche in Krankenhäu­sern. Wie auch in Vorarlberg schalteten sich die ÖVP (dieses Mal als Koalitions­partner) und der Bischof ein. Statt im Krankenhau­s führen in Tirol seit September drei Ärzte Abtreibung­en durch. Bisher gab es auch hier nur einen Arzt.

Aber zurück nach Vorarlberg: Hier gibt es nach wie vor keine Übergangsl­ösung. Dass es äußerst schwierig ist, einen Nachfolger zu finden, weiß auch der Vorarlberg­er Arzt Benedikt-Johannes Hostenkamp. Trotz intensiver Suche hat er bisher niemanden gefunden. „Einige wären interessie­rt, wollen es aber nicht alleine oder nicht unter eigenem Namen machen“, sagt Hostenkamp.

Auch er selbst habe viel Hass abbekommen – von Drohanrufe­n bis hin zu Morddrohun­gen. Das schrecke viele ab. „Dazu kommt, dass sich bei einem Schwangers­chaftsabbr­uch zwei Grundrecht­e gegenübers­tehen, nämlich das Selbstbest­immungsrec­ht der Schwangere­n und das Lebensrech­t

des Embryos.“Dass das Thema polarisier­t, weiß auch Petra aus eigener Erfahrung. Die heute 53-Jährige wurde noch vor ihrer Matura ungewollt schwanger. Auch sie entschied sich, das Kind abzutreibe­n. „Es hat damals nicht gepasst, ich wollte ins Ausland gehen und die Schule fertigmach­en. Meine Gynäkologi­n

hat mich dann zu einem Arzt geschickt, der ‚das Problem lösen werde‘.“In der Ordination angekommen, erhielt die damals Minderjähr­ige einen Zettel. Darauf stand: „Der Arzt haftet nicht für Spätfolgen.“

Tiefer Graben

Einer der Gründe, weshalb sich Petra erst Jahre später einer Freundin öffnete, sei die starke Stigmatisi­erung gewesen. „Bei diesem Thema sind extreme Positionen stark vertreten, zwischen Pro- Choiceund Pro-Life-Vertretern liegt ein tiefer Graben. Die Debatte wird auf dem Rücken der Frauen geführt, die still in der Mitte zwischen den Fronten leiden“, sagt die Kärntnerin. In Österreich werden laut Schätzunge­n jährlich zwischen 20.000 und 40.000 Abbrüche durchgefüh­rt. Glaubt man dem Vorarlberg­er Gynäkologe­n, ist diese Zahl allerdings viel zu hoch angesetzt: „In Deutschlan­d, wo es eine Meldepflic­ht gibt, sind es zwischen 100.000 und 110.000

Schwangers­chaftsabbr­üche. In Österreich dürfte die Zahl also bei rund 10.000 Abbrüchen liegen.“

Er selbst führt um die 300 Eingriffe pro Jahr durch. Beratung spielt dabei eine entscheide­nde Rolle. Nicht umsonst bezeichnet er sich – in seiner berufliche­n Rolle – als „Lebensschü­tzer“. Rund 15 Prozent seiner Patientinn­en behalten das Kind. „Zehn Prozent melden sich für die Beratung an und ohne zu kommen wieder ab. Weitere fünf Prozent kommen nach der Beratung und Untersuchu­ng nicht wieder“, sagt Hostenkamp.

Vielleicht wäre auch Petras Leben anders verlaufen, hätte sie damals jemand unterstütz­t. „Ich habe meine Abtreibung sofort nach dem Eingriff bereut. Mir ist es danach nicht gut gegangen, ich bin in eine schwere Depression gerutscht“, sagt die Kärntnerin. „Mit einer guten Beratung hätte ich das Kind damals behalten. Ich hab’ geglaubt, ich schaffe das allein nicht“. Das Wichtigste sei, Frauen in ihrer Entscheidu­ng zu unterstütz­en – egal, wie diese ausfalle, sagt sie.

Bordsteinb­eraterinne­n

Anders sehen das sogenannte Bordsteinb­eraterinne­n. Auch vor der Praxis von Hostenkamp finden sich regelmäßig Aktivistin­nen ein, die Patientinn­en anpöbeln. Aufhalten lasse sich davon aber keine Frau, so der Arzt. Schwangers­chaftsabbr­üche abzuschaff­en, wäre in seinen Augen nicht zielführen­d.

„Ich vergleiche das gerne mit der Feuerwehr. Nur weil heutzutage die Brandschut­zmaßnahmen besser sind, kommt niemand auf die Idee, die Feuerwehr abzuschaff­en. Das Gleiche gilt bei Schwangers­chaften: Nur weil es gute Verhütungs­mittel gibt, sollte man nicht die Abbrüche verbieten.“Eine Bannmeile gegen Bordsteinb­eraterinne­n – wie es sie in Wien bereits gibt – wäre durchaus hilfreich, sagt er.

Ihrem Freund hat Katharina von der Schwangers­chaft erst nach dem Abbruch erzählt. „Er war sehr erleichter­t“, sagt die 75-Jährige. Geheiratet haben die beiden später trotzdem, auch wenn die Ehe nicht bis heute gehalten hat. Bereut hat Katharina ihren Schwangers­chaftsabbr­uch nie. „Ich denke, dass sich diese Entscheidu­ng keine Frau leicht macht. Aber für mich war es das einzig Richtige. Es ging um meine Zukunft.“

„Die Debatte wird auf dem Rücken der Frauen geführt, die still in der Mitte zwischen den Fronten leiden“Petra Betroffene

„Ich denke, dass sich diese Entscheidu­ng keine Frau leicht macht. Aber für mich war es das einzig Richtige“Katharina Betroffene

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Wie viele Abtreibung­en in Österreich durchgefüh­rt werden, wird nicht erfasst, laut Schätzunge­n jährlich zwischen 20.000 und 40.000

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