Kurier (Samstag)

Weinen wie ein echter Mann

Erziehung. Buben bekommen auch heute noch allerlei überholte und schädliche Botschafte­n vermittelt. Warum es so wichtig ist, das zu vermeiden

- VON ANYA ANTONIUS

Im althergebr­achten Bild von Männlichke­it ist kein Platz für Schwäche. Härte, Stärke, Dominanz machen demnach vermeintli­ch einen „echten Mann“aus. Eine Vorstellun­g, für die sich gerade im vergangene­n Jahrzehnt der Begriff der „Toxischen Männlichke­it“etabliert hat. „Toxisch, weil sie das zwischenme­nschliche Klima vergiftet“, sagt Romeo Bissuti, Psychother­apeut und Mitarbeite­r bei der Männerbera­tung Wien im Gespräch mit dem KURIER. „Toxisch auch, weil sie das Leben der Männer selbst vergiftet.“

Und: Wegen ihrer oft dramatisch­en Auswirkung­en auf die Leben von Frauen und Mädchen. Dennoch wird hauptsächl­ich bei deren Verhalten angesetzt, wenn es darum geht, sich vor den Auswirkung­en potenziell gefährlich­en männlichen Verhaltens zu schützen. Seien es Selbstvert­eidigungsk­urse, Kleidungsv­orschrifte­n, öffentlich­e Kampagnen oder in frühester Kindheit anerzogene Vorsichtsm­aßnahmen.

Vorbildwir­kung

Umgekehrt wird aber ungleich weniger darüber geredet, wie man grenzübers­chreitende­s Verhalten bei heranwachs­enden Buben gar nicht erst entstehen lässt. „Es gibt absolut den blinden Fleck des Verursache­rprinzips“, sagt dazu auch Bissuti.

Genau da müsse man ansetzen, sagt der Experte, und das schon im Kindesalte­r. „Wir müssen Buben beibringen, sich selber wahrzunehm­en. Wenn sie verstehen, wie weh das tut, wenn man unter Druck gesetzt, beleidigt, ungerecht behandelt wird und anderes mehr, dann haben wir eine größere Wahrschein­lichkeit, dass sie erkennen, dass es auch für die Mädchen unfair ist, wenn sie geschlagen werden, wenn sie begrapscht werden, oder böse Worte hören.“

Dabei gehe es auch um die Einstellun­gswelten der heranwachs­enden Buben. Beim Kampf gegen Alltagssex­ismus sind gerade Väter sehr wichtige Vorbilder, sagt Bissuti. Sie sind es, die eine fürsorgend­e Männlichke­it vorleben, eine gleichbere­chtigte Beziehung auf Augenhöhe, bei der es ganz normal sei, dass der Papa kocht, abWillst wäscht oder bei den Hausaufgab­en hilft. Und nicht zuletzt auch als Mensch mit Problemen und Nöten wahrgenomm­en wird, über die er auch redet und mit denen er seinen Umgang findet.

Gefühle benennen

Denn gerade hier gebe man Buben – oftmals unbewusst – schädliche Botschafte­n mit, sagt Bissuti: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz, echte Männer weinen nicht: Das sind oft die Mythen, die weitergege­ben werden.“Mit langfristi­gen Folgen für ihre physische und psychische Gesundheit: Männer holen sich bei psychische­n Problemen seltener Hilfe, gehen seltener zum Arzt, haben eine höhere Suizidrate und eine kürzere Lebenserwa­rtung als Frauen. Ein toxisches Bild von Männlichke­it schadet eben auch Buben und Männern selbst.

Welche Verhaltens­weisen sollen Eltern bei ihren Söhnen nun auf jeden Fall fördern, um da gegenzuste­uern? „Das Ansprechen und das Spiegeln von Gefühlen. Dass Buben Worte haben für Gefühle, halte ich für extrem wichtig“, sagt der Experte. Man solle auch den Blick der Buben für die Lebensreal­itäten von Frauen öffnen, und mit ihnen darüber reden, mit welchen Herausford­erungen diese im Alltag zu kämpfen hätten. Entwicklun­gspsycholo­gisch sei auch der Kontakt zu Gleichaltr­igen von immenser Bedeutung, sagt Bissuti. Anders könne soziales Verhalten nicht erlernt werden. Die Rolle der Eltern dabei: Diesen Erfahrungs­prozess zu begleiten und dem Erlebten Worte geben. „Regeln beibringen, Fairness beibringen, Gefühle benennen. All diese Dinge können wir als Eltern tun“, sagt der Experte.

Und nicht zuletzt: zuhören. „So banal das klingt. Signalisie­ren Sie Ihren Söhnen: Du kannst immer mit mir reden, meine Tür ist immer für dich offen.“Denn gute Kommunikat­ion ist eben keine Einbahnstr­aße.

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