Schaumgebremster Jubel für schwermütiges russisches Programm
Anna Netrebko bot an der Wiener Staatsoper einen ausschließlich russischsprachigen Liederabend
Solistenkonzert. Es war ein freundlicher Empfang für Anna Netrebko an der Wiener Staatsoper, die sie am Donnerstagabend mit einem Liederabend füllte.
Ihre Rückkehr an die Berliner Staatsoper vor rund einem Monat hatte für weit mehr Aufregung gesorgt. Vor dem Opernhaus wurde mit ukrainischen Fahnen lautstark protestiert. Im Haus mischten sich in den Jubel über ihre Darbietung in Verdis „Macbeth“einige Buhs. Die russisch-österreichische Sopranistin war wegen angeblicher Putin-Nähe in die Kritik geraten. Nach längerer Nachdenkpause hatte sie sich schließlich distanziert.
In Wien ist die Situation eine andere. Eine richtige Netrebko-Pause gab es nicht. Dennoch fragte man sich, wie das Publikum auf einen Solo-Abend mit ausschließlich russischem Liedgut reagieren würde. Zweifellos ist der Kontext durch das andauernde Hinschlachten in der Ukraine ein anderer geworden – andererseits hatten Rimski-Korsakow, Rachmaninow und Tschaikowski überzeitliche Kleinode geschaffen, die man nicht einfach aus dem Verkehr ziehen soll. Dies stellte Netrebko mit unvergleichlichem Vortrag unter Beweis. Nicht nur mit ihrer dunklen Sopranstimme, die schon nach wenigen Takten die Staatsoper in einen intimen Kammermusiksaal zu verwandeln schien. Auch mit schauspielerischen Gesten, die den Lufthauch einfingen, über die Bühne schreitend, mitunter tänzelnd, betonte sie den „Genius reiner Schönheit“, wie sie eingangs auf Russisch rezitierte. Englisch- oder deutschsprachige Wortspenden gab es nicht, somit keinerlei Bezugnahme zum Zeitgeschehen. Dabei schreit ein Abend ohne ein nichtrussisches Wort in diesen Zeiten förmlich nach Statement.
Bei manchen Texten, die in deutschen Untertiteln zu lesen waren, stockte einem kurz der Atem: „Sag mir, oh Sonne, die alles sieht, als du aus dem Osten zu uns kamst, hast du mein Vaterland gesehen, das Vaterland, von dem ich träume?“Der Auszug aus Rimski-Korsakows „Hymne an die Sonne“war eine der beiden Opernszenen, welche die durchwegs schwermütigen Lieder unterbrachen.
Pavel Nebolsin – ebenfalls in Russland ausgebildet – begleitete feinfühlig am Klavier. Die Bühne überließ Netrebko ihm nie alleine – und so war es mit 22 Stücken und einer Zugabe ein intensives Programm, das sie mühelos bewältigte. Das Publikum dankte es mit deutlichem, wenngleich schaumgebremstem Jubel. Als Netrebko und Nebolsin ein letztes Mal zurückkehrten, begann sich das Haus am Ring bereits zu leeren – was kurz zu eher unfreiwilligen Standing Ovations führte.