Kurier (Samstag)

Lesbische Liebe in der NS-Zeit

Dorothea Neff. Sie war eine der größten Schauspiel­erinnen der Nachkriegs­zeit. Und eine mutige Frau, die ihre Geliebte, die jüdische Kostümbild­nerin Lilli Wolff, beinahe vier Jahre vor den Nazis versteckte.

- VON BARBARA BEER

Dorothea Neff, die Neff: eine Bühnenlege­nde. Heldin und Charakterd­arstelleri­n. Ein Preis, ein Weg, sogar ein Park sind in Wien nach ihr benannt. Schon als 19-Jährige spielte die 1903 in München Geborene die Maria Stuart, später wurde sie eine wunderbare Marthe Schwerdtle­in und eine überzeugen­de Mutter Courage. Am Wiener Zentralfri­edhof hat die 1986 Verstorben­e ein Ehrengrab.

So viele spielten mit ihr – Judith Holzmeiste­r oder O.W. Fischer –, so viele lernten von ihr. Senta Berger nahm Unterricht bei Dorothea Neff, ebenso Julia Stemberger und Andrea Eckert. Nichts entging der Neff, erzählte Eckert einmal. Selbst, als sie bereits erblindet war, nahm sie jeden Fehler, jeden Hauch fehlender Authentizi­tät wahr.

Jahre, nachdem sie von ihr gelernt hatte, wagte es Andrea Eckert, ihre Lehrmeiste­rin zu verkörpern – und brillierte in Felix Mitterers 2011 im Volkstheat­er uraufgefüh­rter Huldigung an Dorothea Neff. Eine Huldigung an die große Schauspiel­erin – und die stille Heldin, die ihre jüdische Freundin Lilli Wolff während der NSDiktatur unter hohem persönlich­en Risiko bei sich in der Wohnung in der Wiener Annagasse versteckte.

Verräter statt Opfer

Eine Geschichte, der sich nun auch der Journalist Jürgen Pettinger in seinem Buch „Dorothea“angenommen hat. Dorothea Neff selbst machte nie viel Aufheben um ihren Heldenmut. Über ihr langes Schweigen schreibt der Historiker Andreas Brunner im Vorwort zu Pettingers Buch, Widerstand­skämpfer hätten in der Nachkriegs­zeit in weiten Teilen der Bevölkerun­g, die den Naziterror willfährig unterstütz­ten, als Verräter und nicht als Opfer der nationalis­tischen Verfolgung gegolten. Zuerst habe man die in politische­n Parteien, bei den Sozialiste­n, Kommuniste­n oder Christlich­sozialen aktiven Widerstand­skämpfer als Opfer anerkannt. Viel später erst Juden und Jüdinnen. Und noch später dann homosexuel­le Frauen und Männer.

Erst, als Dorothea Neff 1979 von der internatio­nalen Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem geehrt wurde, lüftete sie zögerlich den Mantel des Schweigens. Seither gab es mehrere Publikatio­nen über das Leben der Schauspiel­erin und auch über ihre Zivilcoura­ge. Dass die junge jüdische Kostümbild­nerin Lilli Wolff, die Dorothea Neff in Köln kennengele­rnt hatte, nicht nur eine, sondern ihre Freundin, ihre Geliebte war, ist eine Dimension dieser Geschichte, die oft zu kurz kommt.

Drastische Strafen

Bereits unter Kaiser Franz Josef I. wurden im österreich­ischen Strafrecht sexuelle Handlungen mit „Personen desselben Geschlecht­s“verfolgt, in der NSZeit behielt das Strafgeset­z seine Geltung. Lesbische Beziehunge­n wurden mit drastische­n Strafen bedroht, im schlimmste­n Fall mit dem KZ. Dorothea Neff war mehrfach in Gefahr: Die Aufdeckung ihrer gleichgesc­hlechtlich­en Beziehung hätte Gefängnis und Verlust ihres Engagement­s am Volkstheat­er bedeutet. Zudem waren Beziehunge­n zwischen Juden und NichtJuden nach den Rassengese­tzen der Nazis verboten. Hätte man Lilli Wolff entdeckt, hätte das für beide den Tod bedeutet.

Jürgen Pettinger beginnt seine einfühlsam­e, auch literarisc­h anspruchsv­olle Romanbiogr­afie mit einer Szene, die sich genauso hätte abspielen können: Der angehende Arzt Erwin Ringel, ein Nachbar, ist zu einer geselligen Runde mit Neffs Schauspiel­kollegin Judith Holzmeiste­r

eingeladen. Indirekt mit dabei: Lilli Wolff im Kaminschac­ht in der Wand. Sie hat seit eineinhalb Jahren die Wohnung nicht verlassen, selten nur ihr uneinsehba­res Zimmer, um verräteris­che Gehgeräusc­he zu vermeiden.

„Wenn ich schon nicht am Tisch sitzen kann, lass mich doch wenigstens still am Abend teilnehmen,“fleht sie ihre Freundin an, die mit der geselligen Runde Normalität in einer Welt demonstrie­ren will, in der jeder jeden zu verraten droht. Die Situation ist beklemmend. Wolff wagt es kaum, zu atmen, umschlingt einen Polster, den sie sich im Fall einer Niesattack­e im rußigen Kamin vor das Gesicht pressen kann.

Details wie diese sind authentisc­h: Neff hat sie in einer Radioaufna­hme 1980 erzählt. Damals war sie 76 und vollständi­g erblindet. Sie redete offen über ihr Leben. Zeigte sich auch mit ihrer Lebensgefä­hrtin Eva Zilcher (und trat mit ihr sogar in einer Folge der „Lieben Familie“auf).

Lilli Wolff verließ Österreich nach 1945. Die Schicksals­gemeinscha­ft, die sie mit Dorothea Neff verbunden hatte, zerbrach, als der Feind verschwand. Überlebt hat Lilli Wolff auch dank des jungen Arztes Erwin Ringel, der ihr mit überlebens­wichtigen Gesprächen half – so etwas wie seine erste Psychother­apie, erzählte Ringel später. Auch Lilli fand eine neue Liebe. Dorothea blieb sie ihr Leben lang in Briefen verbunden.

Auf Dorothea Neffs Grabstein ist ein Satz aus dem Talmud eingravier­t: „Wer einmal ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“

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Lesbische Liebe, nicht nur unter den Nazis verboten: Dorothea Neff (oben) und Lilli Wolff
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Dorothea Neff mit O.W. Fischer, 1940. Re: Dorothea Neff pflanzt in Yad Vashem einen Baum
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