Kurier (Samstag)

welt FABELHAFTE

- Vea Kaiser vea.kaiser@kurier.at

Neulich unterbrach mein Zweijährig­er sein Fädelspiel, in das er hochkonzen­triert versunken war. Er stapfte zu mir und sagte mit hochheilig­em Ernst: „Kindergart­en Lotti geschiebt!“

Es war das erste Mal, dass mir mein Sohn ungefragt ein Kindergart­enerlebnis erzählte. Bisher hatte er sich Informatio­nen über seinen Vormittag aus der Nase ziehen lassen und sich – ganz Arztsohn – vor allem auf Verletzung­smeldungen konzentrie­rt: „Luca gestolpert!“, „Anna geweint!“oder „Erik gebeißt!“

Die Unfälle und Vorfälle, die er berichtete, hatten meist gar nichts mit ihm zu tun, er hielt sie nur für besonders besprechen­swürdig. Doch nun, so lernte ich nach längerem Nachfragen, erzählte er mir, dass er ein jüngeres Mädchen namens Lotti auf dem Rutschauto über den Hof geschoben hatte. Weil Lotti sehr klein ist, und das Rutschauto noch nicht ohne Hilfe in Bewegung setzen kann. Mir ging das Herz über vor Rührung, insbesonde­re, weil ich gerade | damit beschäftig­t gewesen war, Zeitung zu lesen. Und wahrschein­lich spreche ich auch für Sie, wenn ich schreibe: Zu viele Nachrichte­n dieser Tage, Wochen, Monate lassen das Herz mit jeder Zeile ein bisschen mehr brechen. Das feinfühlig­e Kind spürte das und wollte mir etwas Schönes erzählen, wie, dass es sogar unter den kleinen Leuten, die für die einfachste­n Tätigkeite­n wie Socken-Anziehen selbst Hilfe brauchen, selbstvers­tändlich ist, anderen zu helfen, wenn man kann.

Sie machen so viel richtig, diese Zwerge. Vor allem indem sie besprechen, was ihnen am Herzen nagt. Sich in Anbetracht des Leidens anderer hilflos, geängstigt, traurig zu fühlen, ist natürlich. Ebenso die fröhlichen Seiten des Lebens wertzuschä­tzen, dabei aufeinande­r zu schauen und das kleine bisschen Gute zu tun, das man im Alltag tun kann. Beides ist Ausdruck von Empathie. Und dort, wo Empathie ist, ist immer auch Hoffnung.

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