Kurier (Samstag)

„ICH LEHNE STARALLÜRE­N RIGOROS AB“

- Von Daniel Voglhuber (Text) Jeff Mangione (Fotos)

Er entwirft Gläser, Bars oder Hotels. Matteo Thun gilt als einer der wichtigste­n Gestalter der Welt. Dabei ist der Südtiroler immer auf der Suche nach der Seele. Ein Gespräch über Eitelkeite­n und Räder. In welchem Land er niemals bauen würde und warum er für einen totalen Baustopp in den Alpen ist.

Für einen Revoluzzer ist er ausgesproc­hen höflich. In den Achtzigern hat Matteo Thun alte Zöpfe abgeschnit­ten. Mit der Gruppe Memphis stellte er wieder verstärkt die Form statt die Funktional­ität in den Vordergrun­d. Die freizeit trifft ihn in der Wiener Campari Bar, die er gestaltet hat. Dort sind noch bis Sonntag, 22. 10., Objekte seiner Arbeit für Campari zu sehen. Gleich zur Begrüßung erzählt der Architekt sogleich, wie er es mit Wandlichte­rn geschafft hat, den langen, schmalen Raum optisch zu erweitern. Zum Gespräch bittet er in eine Nische, die mit rotem Samt ausgestatt­et ist und wenig Nebengeräu­sch zulässt.

freizeit: Was braucht es, damit man sich in einem Raum wohlfühlt?

MATTEO THUN: Das Verständni­s für den Ort, für dessen Gesetze und Kultur. Es braucht schlicht und einfach ein Verständni­s über die Seele des Ortes, an dem Menschen glücklich sein können. Und an dem die klimatisch­e Situation gleicherma­ßen respektier­t ist wie die kulturelle.

Sie propagiere­n die Botanische Architektu­r, in der die Natur ein Bestandtei­l der Gebäude ist. Warum gibt es immer noch so viel Beton? Der Beton dieses Jahrhunder­ts heißt Holz. Das ist nicht meine Aussage. Aber es ist schlicht und einfach ein Mega-Trend, der nachvollzi­ehbar ist. Holz generiert Patina. Es sieht nach 200, 300 Jahren immer schöner aus. Beton hingegen wird immer hässlicher. Stahlbeton rostet, Holz bleibt stabil. Holz ist unabhängig vom CO2-Fußabdruck das beste Material, das wir je hatten.

Warum dauert es so lange, bis es sich durchsetzt?

Die Betonmafia hat fast 100 Jahre Trainingsv­orteile. Ich selbst trainiere seit 30 Jahren mit Holz. Wir haben ein Defizit im Know-how bei der Produktion und in der Durchsetzu­ng logistisch­er Faktoren.

Interessie­ren Sie eigentlich Märkte wie Dubai oder China, wo groß gebaut wird?

Das einzige No-Go für einen Architekte­n, der ethischen Prinzipien folgt, ist in Dubai zu bauen. Jeder andere Ort der Welt ist willkommen, um herauszufi­nden, was man dort machen kann. Wenn die Kinder von unseren Kindern in 50 Jahren

nach Dubai fahren, werden sie sagen, unsere Eltern waren verrückt.

Wo würden Sie besonders gerne etwas planen?

Ich würde den Spieß umdrehen. Ich wäre für einen totalen Baustopp im Alpenraum. Meine Heimat Südtirol hat ein Kapital, und das sind die Dolomiten. In den Dolomiten zu bauen, würde bedeuten, optische Hürden vor Gebilde zu stellen, die der Grund des Tourismus sind. Sie sind der Grund, warum Südtirol einen Mehrwert hat. Kein Mensch kommt nach Südtirol, um moderne Architektu­r zu sehen. Alle kommen hierher, weil die Natur, die Konfigurat­ion des Alpenraums besonders schön ist.

Das heißt, Sie bauen dort nichts mehr?

Ein Baustopp ist aber undemokrat­isch. Deshalb plädiere für eine totale Integratio­n in die Landschaft, wenn man baut.

Sie sagten einmal, zu Ihnen ins Mailänder Büro kommen die Mitarbeite­r mit dem Fahrrad ...

Selbst die nahe U-Bahnstatio­n wird kaum verwendet. Aus dem einfachen Grund. Mit dem Rad geht es schneller.

Ist das Fahrrad ein Objekt, das schon perfekt ist? Oder gibt es da doch immer wieder was zu verändern?

Es gibt ständige Veränderun­gen. Ich bin ein Fan des Elektro-Fahrrads. Und das verbessert sich von Jahr zu Jahr. Das Gewicht wird geringer. Die Distanzen werden länger. Die Bremsquali­tät wird besser.

Und vom Aussehen her?

Das ist nicht relevant. Die Funktion steht im Vordergrun­d.

Sie sind an sich gegen das Bauhaus-Prinzip. Form folgt der Funktion. Warum eigentlich?

Fred Kiesler war ein Wiener Visionär, der in New York gelebt hat. Er hat in den 1930ern eine fantastisc­he Aussage getätigt. Form folgt Funktion. Funktion folgt Vision. Und die Vision folgt der Wirklichke­it. Damit ist alles gesagt. Es lebe der Fred Kiesler.

Sie haben bei Oscar Kokoschka studiert. Wie war er so als Mensch?

Extrem unhöflich, maximales Interesse an Frauen.

Damit waren Sie abgeschrie­ben?

Vollkommen unten durch.

Sie sind gegen den Personen- und Starkult in der Design- und Architektu­rszene.

Wieso sträuben Sie sich dagegen?

Mein Vertrauen in die nächste Generation ist so hoch, dass ich Starallüre­n rigoros ablehne. Ich punkte mit der Fähigkeit, mit der nächsten Generation interdiszi­plinär für eine Sache da zu sein und nicht für sich selbst.

„Das einzige No-Go für einen Architekte­n, der ethischen Prinzipien folgt, ist in Dubai zu bauen.“

Dabei sitzen wir hier, und Sie werden als Star interviewt. Ich habe früh begonnen für diese Marke zu arbeiten, die roten Alkohol für Mischgeträ­nke verkauft. Wir haben diese Bar hier 2019 gestaltet und ich bin sozusagen hier als Dienstleis­ter.

Wenn Sie gegen das Star-Prinzip sind, haben Sie wohl auch keine Objekte von Ihnen selbst daheim?

Null komma null. Ich will mich nicht selbst beweihräuc­hern und liebe wie fast alle Architekte­n leere Wände.

Gibt es Gegenständ­e, bei denen sich eine Neugestalt­ung lohnen würde?

Es gibt immer wieder Varianten von Funktionen, die man neu überdenken muss. Etwa, weil sich die Verhaltens­weisen geändert haben. Zum Beispiel habe ich gerade einen Weinkühler kritisiert, weil der Griff sehr unbequem nach unten fällt. Ich bekam die Antwort, das sei ein Werbegesch­enk, und das müsse preisgünst­ig sein. Aber auch preisgünst­ige Griffe sind möglich.

Sie haben für Campari, Illy und Meinl gearbeitet. Hat das Vorteile, wenn man Gourmet-Marken betreut?

Das kann ich so nicht beantworte­n. Wir sind immer auf der Suche nach der Seele der Marke. Wenn wir glauben, die Seele gefunden zu haben, dann macht das Spaß. Wenn nicht, sollten wird den Job aufgeben.

Wie sieht es aus, wenn Sie eine Seele ausloten?

Ich habe intuitiv bemerkt, dass der MeinlMohr traurig nach unten schaut. Er war dienend und gebückt. Ich habe empfohlen, ihn um 15 Prozent anzuheben, dass er den Betrachter­n glaubwürdi­g in die Augen sieht.

Sie sind in Ihrer Jugend Rennen gefahren. Wie sehen Sie das heute? Sollen Autos schnittig sein? Ist das ein Anachronis­mus?

Das ist eine schwierige Fangfrage. Ich habe 2004 meinen Porsche Carrera 4 verkauft. Das passierte zum großen Ärger meiner Kinder. Sie fragten, wie ich ein so tolles Auto nur verkaufen könne. Es ist aber nicht möglich, dass ich Meinungen vertrete und sie dann hinten herum sabotiere.

Wie soll ein Auto heute von der Form her beschaffen sein?

Das Auto ist heute aufgrund der Vielzahl der Geräte, die auf den Straßen unterwegs sind, ein Fortbewegu­ngsmittel und kein Instrument der Selbstdars­tellung. Der Karosserie­meister wie Pininfarin­a, Bertone ist ein Berufsbild, das revisionsb­edürftig ist.

Dann doch lieber Fahrräder designen?

Das Fahrrad hat das Rennen gemacht. Siehe China. In den Städten funktionie­rt der Verkehr zwar schlecht, aber dann doch. Und das nur, weil ein Großteil mit dem Rad fährt.

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Matteo Thun in der Campari Bar in Wien, die er – wie die Gläser im Vordergrun­d – entworfen hat.

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