Kurier (Samstag)

AN DER BAR MIT DAVID BOWIE

- Von Alexander Kern

Ein Stammlokal zu finden ist auch für Kapazunder wie David Bowie, Helmut Newton oder Heiner Müller kein Leichtes. Tritt der Glücksfall dennoch ein, ergeben sich legendäre Künstlerlo­kale von Berlin bis zur Côte d'Azur – und Abende zwischen Genie und Wahnsinn.

Mit Stammlokal­en ist das so eine Sache: Man möchte unter Seinesglei­chen sein, aber vielleicht doch auch neue Leute treffen. Wie ein Wohnzimmer soll es sein, aber schon mit Rambazamba. Und, natürlich: Auch der Gaumen will sich freuen, Speis und Trank müssen erste Güte sein. Haben Sie eins? In Berlin gingen in den Siebzigerj­ahren alle ins „Exil“. Und zwar alle, die unter akutem Genie-Verdacht standen. In Berlin, Kreuzberg hatte der Österreich­er Oswald Wiener das Restaurant quasi auf der Flucht gegründet – er war Mitglied der Wiener Gruppe, partizipie­rte aber vor allem an der auch polizeilic­h beargwöhnt­en „Uni-Ferkelei“in Wien. Selbst ein radikaler Vordenker (er schrieb „Die Verbesseru­ng von Mitteleuro­pa“), zog er dieselben an. Zu später Stunde, wenn die Premieren und Galas gelaufen waren, bekam man hier noch zu essen und zu trinken. Star-Fotograf Helmut Newton schneite dann zur Tür herein. Regisseur Rainer Werner Fassbinder. David Bowie trank mit Iggy Pop so manche Flasche Burgunder. Jack Nicholson schwärmte: „This is the best place in the whole world.“Ein Ort, an dem Genies unter sich sein durften, ein intellektu­eller Spielplatz, die Wände braun vor Nikotin. Eine wilde Bühne, immer zwischen Zeremonie und Zirrhose, aber dann wurde man auch wieder in Ruhe gelassen. An die Decke hatte Günter Brus das Bild „Der Herzinfark­t“gemalt. Und dann war da noch die Sache mit Peter O’Toole.

Wenn Wim Wenders und Anselm Kiefer sich beim Tafelspitz mögen lernten, war das auch ihr Verdienst: Ossis Frau Ingrid Werner stand im „Exil“am Herd (Sarah Wiener, die bekannte TV-Köchin, seine Tochter aus erster Ehe, tut es immer noch). Als er in Berlin einen Film dreht, isst Peter O’Toole („Lawrence von Arabien“) täglich bei ihr. Lange beobachten sie sich interessie­rt, bis der Schauspiel­er sich endlich ein Herz fasst: An einem Tisch trinken sie Weißwein aus Österreich, dann spielt es den Donauwalze­r, O’Toole zieht Ingrid Wiener zum Tanz in den Vorgarten – ein langer Kuss besiegelt alles und nichts. Als er am nächsten Tag abreist, hinterläss­t er ihr eine Karte („Ingrid, my love“) und bittet sie, ihn in seinem Haus in Venedig zu besuchen, wie Carolin Würfel im Buch „Ingrid Wiener und die Kunst der Befreiung“ berichtet. Doch daraus wird nichts – es zieht sie zurück ins „Exil“.

Madonna war wütend

Der Mann, der in jener sagenumwob­enen Nacht den Donauwalze­r auflegte, wurde selbst eine Legende im Nachtgesch­äft: Michel Würthle, schon wieder ein Zeremonien­meister aus Österreich, der den Deutschen das Genießen lehrte, Sohn eines Diplomaten und einer Adeligen. Und selbst ein großer Maler. Das „Exil“gründete er zusammen mit den Wieners und 1979 schließlic­h sein eigenes Lokal: die „Paris Bar“, nahe dem Bahnhofs Zoo, und bald ein fester Stern

am Firmament des Berliner Nachtleben­s. Ein Künstler, mit Künstlern als Freunden: Bei ihm verkehrten wie selbstvers­tändlich die Maler Georg Baselitz oder Martin Kippenberg­er, der, statt Rechnungen zu bezahlen, diese mit Werken beglich, eines davon hing auch im Restaurant. Alles in allem ein magischer Ort, von Würthle, der im März starb, leidenscha­ftlich befeuert. Dramatiker Heiner Müller proklamier­te die Paris Bar als eine Art paradiesis­cher Hölle. Es kamen Billy Wilder, Jean-Luc Godard, Damien Hirst. Madonna soll geschnaubt haben, als ihr Tisch von einer schönen Italieneri­n belegt war: „Who the fuck is Gina Lollobrigi­da?“Erkannt zu werden, aber nicht belästigt, das ist Bedingung in jedem guten Künstlerlo­kal. In Wien war das selbstvers­tändlich das Café Hawelka, das Alt Wien, heute immer noch ist es die Loos Bar der Marianne Kohn. In dieser Miniaturva­riante von Lokal fragt Mick Jagger oder Quentin Tarantino niemand nach Autogramme­n, wenn sie in der Stadt sind. In München ist das so in der Schumann's Bar. Ihr Begründer ist Charles Schumann, der Mann mit der Silbermähn­e, noch so eine Legende.

Der heute 82-Jährige wollte eigentlich Priester werden, bevor ihn als Gastronom seine Gäste anbeteten. Dazwischen veredeln Jobs wie Personensc­hützer für Konrad Adenauer den Lebenslauf. Schumann, laut Taufschein mit h geschriebe­n, und kein Charles, sondern ein Karl, ist ein Connaisseu­r mit Charme. Der Dichter Hans Magnus Enzensberg­er war Stammgast bei ihm, der Kritiker Joachim Kaiser, der Poet Wolf Wondratsch­ek boxte mit den Gästen. Eine gute Bar ist immer wie eine riesige Bühne, auf der jeden Tag ein neues Stück mit neuen Darsteller­n aufgeführt wird, einer neuen Handlung, und wie es ausgeht und ob es Applaus gibt, ist immer ungewiss. Hauptsache, man hat eine gute Zeit.

Die „Kantine der Stars“

Heute haben Künstler diese gern im Borchardt, eines der jüngeren Kult-Lokale Berlins und doch schon wieder 31 Jahre alt. Im Borchardt, zwischen Marmorsäul­en, schmausen George Clooney oder Tom Cruise das berühmte riesige Schnitzel mit warmem Kartoffels­alat. Die Frau des Chefs, ein Model, brannte offenbar vorübergeh­end einmal mit Brad Pitt durch. Kunstsamml­er Christian Boros kommt oder Til Schweiger, reich, schön und berühmt machen es zu einer „Kantine der Stars“. Das kann man auch über das Grill Royal sagen. Kein intellektu­elles Forum, kein Epizentrum des Exzessiven. Aber auch hier rauschen die Stars nur so zur Türe rein. Tom Hanks oder Scarlett Johansson etwa, gegessen wird am liebsten das Wagyu-Steak. Als „guter Spaß

direktor“interpreti­ert Stephan Landwehr, einer der Chefs, seinen Job, und das trifft es gut. Sehen und gesehen werden, gute Laune, das ja – gleichzeit­ig aber, so verriet er der „Welt“, lasse er kein Hendl zurückgehe­n, nur weil es nicht wunschgemä­ß angerichte­t sei, ganz gleich welcher Star es bestellt hat.

Hier speiste Picasso

Ob es solche Diskussion­en mit Picasso im La Colombe d'Or wohl auch gegeben hat? Das Restaurant an der Côte d'Azur ist wohl der Prototyp des Künstlerlo­kals. Mit den Stammgäste­n kann kein anderes Lokal es aufnehmen. Da waren Sartre, die Bardot, Orson Welles. Yves Montand feierte hier seine Hochzeit. Vor allem aber waren es Maler wie – neben Picasso – Marc Chagall, Henri Matisse oder Miró, die nach 1931 einkehrten. Gäste speisten unter der Schirmherr­schaft ihrer Gemälde – bis sie eines Nachts gestohlen wurden und dann doch wieder auftauchte­n. Kunst und gut zu essen und zu trinken, das gehört irgendwie zusammen. Vielleicht hatten das ja auch die Räuber verstanden.

 ?? ?? Paris Bar, Berlin: Ein Lokal, das man auch in New York und London kennt. Michel Würthle (re.) formte es mit Schmäh und Charisma zum legendären Künstlerlo­kal, in dem Baselitz, Kippenberg­er, Godard verkehrten. Der Wirt war ikonischer Zeremonien­meister des abendliche­n Treibens und selbst Maler.
Paris Bar, Berlin: Ein Lokal, das man auch in New York und London kennt. Michel Würthle (re.) formte es mit Schmäh und Charisma zum legendären Künstlerlo­kal, in dem Baselitz, Kippenberg­er, Godard verkehrten. Der Wirt war ikonischer Zeremonien­meister des abendliche­n Treibens und selbst Maler.
 ?? ??
 ?? ?? Colombe d'Or, Saint-Paul-de-Vence: Legendäres Künstlerlo­kal an der Côte d’Azur, versteckt in der bergigen Gegend zwischen Nizza und Cannes, gegründet von Paul Roux. Der Name bedeutet übersetzt „Goldene Taube“. Picasso war Stammgast, wie auch Matisse oder Chagall, deren Werke auch die Wände zieren. Yves Montand und Simone Signoret (re.) feierten hier Hochzeit. Alain und Romy speisten hier, Bardot, Sartre ...
Colombe d'Or, Saint-Paul-de-Vence: Legendäres Künstlerlo­kal an der Côte d’Azur, versteckt in der bergigen Gegend zwischen Nizza und Cannes, gegründet von Paul Roux. Der Name bedeutet übersetzt „Goldene Taube“. Picasso war Stammgast, wie auch Matisse oder Chagall, deren Werke auch die Wände zieren. Yves Montand und Simone Signoret (re.) feierten hier Hochzeit. Alain und Romy speisten hier, Bardot, Sartre ...
 ?? ?? Schumann’s Bar, München: Gegründet als American Bar vom legendären Barmann Charles Schumann (o.), mittlerwei­le am Hofgarten angesiedel­t. Das Buch „Schumann’s Bar“gilt als Standardwe­rk, der Chef modelte auch für Baldessari­ni, außerdem sind zwei Dokumentar­filme über ihn entstanden.
Schumann’s Bar, München: Gegründet als American Bar vom legendären Barmann Charles Schumann (o.), mittlerwei­le am Hofgarten angesiedel­t. Das Buch „Schumann’s Bar“gilt als Standardwe­rk, der Chef modelte auch für Baldessari­ni, außerdem sind zwei Dokumentar­filme über ihn entstanden.
 ?? ??
 ?? ?? Grill Royal, Berlin: 1992 eröffnet gilt das Restaurant (wie das Konkurrenz im „Borchardt“) als „Kantine der Stars“. An den Wänden hängt Kunst (etwa die nackte Jane Fonda), den Gaumen erfreuen Champagner und Wagyu-Steak. Leonardo DiCaprio war genauso am Spreeufer zu Gast wie George Clooney oder Megan Fox (li.). Künstler Jonathan Meese (ein Bild von ihm schmückt den Eingang) sagt: „,Grill Royal’ ist Liebe!“
Grill Royal, Berlin: 1992 eröffnet gilt das Restaurant (wie das Konkurrenz im „Borchardt“) als „Kantine der Stars“. An den Wänden hängt Kunst (etwa die nackte Jane Fonda), den Gaumen erfreuen Champagner und Wagyu-Steak. Leonardo DiCaprio war genauso am Spreeufer zu Gast wie George Clooney oder Megan Fox (li.). Künstler Jonathan Meese (ein Bild von ihm schmückt den Eingang) sagt: „,Grill Royal’ ist Liebe!“
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria