Kurier (Samstag)

Im Nachrichte­n-Orkan

Maria Scholl (39) ist neue Chefredakt­eurin der Austria Presse Agentur. Große Teile der News aus dem In- und Ausland basieren auf den Meldungen der Nachrichte­nagentur

- VON PHILIPP WILHELMER

An der Spitze der österreich­ischen Nachrichte­nagentur APA steht erstmals eine Frau. Maria Scholl (39) verantwort­et damit den wohl einflussre­ichsten Nachrichte­nstrom des Landes.

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KURIER: Wie die APA ihre Berichters­tattung gewichtet, hat großen Einfluss auf die Nachrichte­nlage des Landes. Nach welchen Kriterien wählt die Nachrichte­nagentur aus, was berichtet wird?

Maria Scholl: Als Journalist­en haben wir den Anspruch, Relevanz zu definieren. Ansonsten gilt: Neuigkeits­wert und Aktualität sind Kernkriter­ien für unsere Arbeit. Im Prinzip erfüllen wir als unabhängig­e Nachrichte­nagentur (die APA ist eine Genossensc­haft österreich­ischer Zeitungen und des ORF, Anm.) in privatem Auftrag eine öffentlich­e Mission. Von daher müssen wir natürlich auch Themen behandeln, die wir auf Basis eines demokratis­chen Grundkonse­ns für wichtig halten, etwa Minderheit­enthemen.

Immer mehr Menschen wenden sich von Nachrichte­n ab. Es gibt dazu einen eigenen Begriff, die News Avoidance. Was ist Ihre These dazu?

Es gibt offensicht­lich eine Diskrepanz zwischen dem, was wir als Redaktione­n relevant finden, und dem, was unsere Userinnen und User relevant finden – das sieht man unter anderem auf Social Media. Und es hat viel mit dem aus meiner Sicht größten Problem des Journalism­us zu tun: dem Mangel an guten Nachrichte­n. Ich muss gestehen: Sie sind auch nicht immer leicht zu finden.

Früher war die Aufgabe von Chefredakt­ionen, zu antizipier­en, was die Leser lesen wollen. Heute sind die Zugriffe auf die Meldungen in Echtzeit messbar und wir sehen: Nicht alles, was wir für

wichtig halten, wird gelesen. Wie findet man journalist­isch hier den richtigen Weg?

Früher haben die Menschen vereinfach­t gesagt das gelesen, was in der Zeitung stand. Das heißt, der Chefredakt­eur hat mehr oder weniger entschiede­n, was die Leser lesen wollen. Mittlerwei­le haben wir Daten, die uns genau sagen, was die Menschen wie interessie­rt. Eine Riesenchan­ce, in Dialog mit den Lesern zu treten – auf Basis einer Datenanaly­se.

Wie vermeiden Redaktione­n, nur Zahlen sprechen zu lassen? Es widerspric­ht dem journalist­ischen Ethos, die Masse abstimmen zu lassen.

Nur noch über die besten Ausflugsga­sthöfe im Wienerwald zu schreiben, weil das gut funktionie­rt, ist für unser Berufsetho­s sicher zu wenig. Deshalb: Wenn demokratie­politisch relevante Themen nicht angenommen werden, muss ich mir die Mühe machen, sie mit neuen Zugängen aufzuberei­ten.

Man könnte vereinfach­t auch sagen: Die User haben immer recht.

Ob sie recht haben oder nicht, ist letztlich egal. Sie sitzen aber am längeren Ast.

Erst vor wenigen Tagen ist ein Spital in Gaza von einer Rakete getroffen worden. Das ging über die APA als Eilmeldung mit der Ansage, es gebe mehrere hundert Tote. In Folge stand Aussage gegen Aussage: Wer hat das Spital getroffen? Die Israelis sagen, es war die Hamas, die Hamas sagt, es waren die Israelis.

„Ob die User recht haben oder nicht, ist letztlich egal. Sie sitzen aber am längeren Ast“Maria Scholl APA-Chefredakt­eurin

Und die Frage tauchte auch auf: Wurde es überhaupt getroffen?

Ein hochkomple­xer Fall mit unsicheren Quellen und klaren Propaganda­zielen. Wann kommt man da zu dem endgültige­n Bild?

Wir sind hier in einer nachgeordn­eten Rolle, weil wir hier selbst auf die internatio­nalen Nachrichte­nagenturen angewiesen sind. Die großen Nachrichte­norganisat­ionen haben die Angaben der Hamas sicher zu wenig kritisch übernommen. Einige haben sich auch schon dafür entschuldi­gt. Der Umgang mit Quellen bedeutet auch für die internatio­nale Medienland­schaft immer wieder steile Lernkurven. Man muss aber auch sagen: Die Wahrheit ist das Erste, was in so einem Konflikt auf der Strecke bleibt. Berichters­tattung kann immer nur eine Annäherung sein.

Ihr Werdegang zu Chefredakt­eurin ist ungewöhnli­ch: Sie waren Kulturjour­nalistin. Welche Aspekte dieser Arbeit nahmen Sie in die Führung der APA mit?

Was ich mir aus dem Feuilleton mitnehme: Wir dürfen unseren Leserinnen und Lesern auch ein angenehmer Zeitvertre­ib sein. Es sollte etwas sein, was wir gerne konsumiere­n. Ich glaube, das täte auch der politische­n, wirtschaft­lichen, oder KlimaBeric­hterstattu­ng ganz gut. Man soll es gerne lesen.

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Die Neue: Maria Scholl im APA-Newsroom in Wien. Sie übernahm die Führung der Agentur von Johannes Bruckenber­ger

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