Kurier (Samstag)

„FALTEN MACHEN SCHÖN“

- Von Alexander Kern

Sie war das erfolgreic­hste und bestbezahl­te Model der Welt. |n den Achtzigerj­ahren wollten alle aussehen wie Paulina Porizkova. Schön fand sie selbst sich nicht. Heute steht sie zu ihren Falten – und ist glücklich. Und setzt sich dafür ein, dass Frauen auch über 50 sexy sein dürfen. Ein Gespr▸ch über Schönheit und Botox, das Comeback der Supermodel­s und das Trauma ihrer Kindheit.

Sie war eines der ersten Supermodel­s, war am Cover der wichtigste­n Modezeitsc­hriften, warb für Chanel und Versace, spielte in Hollywood: In den Achtzigern gab es kein Vorbeikomm­en an Paulina Porizkova. Sie war das erfolgreic­hste Model der Welt. Jetzt öffnet sie die Tür der Prince-ofWales-Suite im Hotel Bristol in Wien und bietet uns Tee an. Dieses Jahr erhielt sie bei einer glamouröse­n Gala in der Hofburg, bei der die Kreativitä­t der Modewelt gefeiert wurde, den Vienna Award for Fashion & Lifestyle. Auch ein Preis für weibliche Selbstbest­immung: Porizkova setzt sich gegen Altersdisk­riminierun­g ein, hat darüber ein Buch mit Essays geschriebe­n und zeigt sich und ihren Körper auf Instagram ungehemmt gealtert.

freizeit: Paulina, üblicherwe­ise kommen Fragen zu Wien gern gegen Ende eines Interviews, aber bei Ihnen liegt der Fall anders. Sie leben in den USA, geboren sind Sie aber in der nahen Tschechosl­owakei. Was verbinden Sie mit Wien?

PAULINA PORIZKOVA: Wien war der erste Ort außerhalb meiner Heimat, an den ich jemals gereist bin. Als die Tschechosl­owakei 1973 ein freies Land wurde, gingen wir über die Grenze nach Österreich. Wir wollten von hier ein kleines Flugzeug nehmen, um nach Schweden zu kommen. Alles an Wien erschien mir so überwältig­end groß. Ich komme ja aus einer kleinen Stadt. In Wien wohnten wir in einem alten, billigen Hotel. Hohe Decken, schön. Meine beiden Eltern, mein kleiner Bruder und ich, in einem Zimmer, für eine Nacht. Am nächsten Tag flogen wir nach Schweden.

In Wien beehrte man Sie dieser Tage mit einem Preis als Stilikone. Wie fühlt sich das an, wie ein Märchen oder das Ergebnis harter Arbeit?

Wissen Sie was, es ist beides. Wäre es nicht mein Leben, würde ich es für ein Märchen halten. Vom Kinderflüc­htling zur Preisträge­rin, das Leben ist manchmal verdammt lustig. Eine klassisch amerikanis­che Geschichte. Vom Tellerwäsc­her zum Millionär. Aus dem Nirgendwo hinaus in die große, weite Welt. Aber ich lebe ein europäisch­es Märchen. Und die gehen immer schlecht aus.

Sehen Sie sich als Stilikone?

Mode ist jetzt nichts, das mir wirklich am Herzen liegt. Aber Mode ist nicht Stil. Bei Stil geht es darum, wie man sich präsentier­t. Um Selbstbewu­sstsein oder mangelndes Selbstbewu­sstsein. Wer man als Mensch ist. Ich bewundere Menschen mit Stil. Ich hätte nie gedacht, dass ich welchen hätte.

Was bedeutet Schönheit für Sie?

Eigentlich sehr viel. Keine offensicht­liche Schönheit, die finde ich nicht so interessan­t. Selbst wenn das natürlich mein Beruf und mein Leben war und ich damit mein Geld verdient habe. Aber echte Schönheit ist etwas anderes für mich.

Was denn?

Es heißt, etwas Einzigarti­ges zu finden, das einen Lebensfreu­de fühlen lässt. Und mit Sicherheit wird diese Freude mehr, je älter man wird. Es ist keine Schönheit, die offensicht­lich ist. Man muss sie erst suchen.

In den sozialen Medien werden wir mit Schönheit überschwem­mt.

Klar, dank Instagram-Filtern. Du schaust dir ein Bild an, findest es hübsch, und in der nächsten Sekunde hast du es schon wieder vergessen. Echte Schönheit aber hat Konsequenz­en. Sie lässt dich etwas in dir spüren. Sie hinterläss­t einen Eindruck. Sie kann dich glücklich machen. Aber auch verletzen.

Wann haben Sie sich schöner gefühlt: 1984, am Cover der Bikini-Ausgabe von „Sports Illustrate­d“, oder heute?

Ich denke, Sie kennen die Antwort. Natürlich finde ich mich jetzt viel schöner als jemals zuvor. Wenn ich mir die Bilder von damals ansehe, denke ich: Oh ja, ich war hübsch, so symmetrisc­h. Aber auch so harmlos. Und das ist für mich nicht wirklich schön. Echte Schönheit kann auch ein bisschen anstößig sein. Oh, ich kann absolut verstehen, warum die Leute mich attraktiv fanden: Ich war eine gute Plattform, um Dinge zu verkaufen.

Sie meinen, ein idealer Werbeträge­r?

Das war meine Aufgabe: diesen Rock anziehen, diese Bluse, diesen Lippenstif­t auftragen und den Frauen ein schlechtes Gewissen machen, weil sie nicht so aussehen wie du. Also müssen sie losgehen und diese Sachen kaufen. Aber habe ich mich dadurch schön gefühlt? Ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Am unsicherst­en war ich in meiner Blütezeit. Da habe ich mich am schlechtes­ten gefühlt, weil ich ständig beurteilt und verglichen wurde, mit anderen schönen Frauen. Wenn man an Perfektion gemessen wird, ist niemand perfekt, alle werden verlieren. Das kann man nicht gewinnen.

Heute setzen Sie sich dafür ein, dass Frauen in Würde altern dürfen, dass sie auch mit über 50 sexy sind und Falten als schön wahrgenomm­en werden.

Und selbst ich kämpfe mit dem Älterwerde­n. Die Gesellscha­ft sagt uns, es gibt nur eine Art von Schönheit. Jene auf Instagram. Als Frau in mittleren Jahren hat man da zu kämpfen, weil einem gesagt wird, man sei nicht länger relevant, da man nicht mehr jung ist. Man fühlt sich attraktiv, aber alle rundherum sagen einem, man sei es nicht.

In Ihrem Buch „No Filler“haben Sie über das Gefühl geschriebe­n, als Frau von 50

Jahren für andere unsichtbar zu werden.

Mir ging es schon Ende vierzig so. Erst glaubte ich, das ist bloß mein Ego, weil ich in meiner Zeit als Model immer im Zentrum der Aufmerksam­keit stand. Boohoo, keiner schaut mich mehr an! Ich schämte mich dafür. Dann habe ich es meinen Freundinne­n gegenüber doch einmal erwähnt, die auch in meinem Alter sind. Sie sagten: Willkommen im Klub! Und: Wenn du dich schon unsichtbar fühlst, wie denkst, geht es uns erst?

Was halten Sie von Pamela Anderson, die sich kürzlich ohne Make-up zeigte?

Ich war begeistert! Es macht mich unglaublic­h glücklich, eine Frau zu sehen, die sich nicht an die Regeln hält, die die Gesellscha­ft einem auferlegen will – nämlich, dass man keine Falten haben soll. Das ist wahre Schönheit.

Machen Falten schöner?

Natürlich. Falten sind eine Landkarte deines Lebens. Also machen sie dein Gesicht interessan­ter. Je älter man wird, desto schöner wird man. Selbstvers­tändlich ist auch Jugend schön. Es wie der Unterschie­d zwischen einem glitzernde­n Kleid und etwas von hoher Qualität, das nie aus der Mode kommt. Beides ist wunderschö­n. Das eine zieht Aufmerksam­keit auf sich. Das andere muss man fühlen und anschauen.

Welche Rolle spielt die Scham, die Sie vorhin angesproch­en haben, Ihrer Meinung nach im Leben einer Frau?

Scham ist ein großer Teil im Leben jeder Frau. Wir werden beschämt und dann beschämen wir andere, damit sie das gleiche durchmache­n. Unglaublic­h destruktiv. Schon als Mädchen wirst du dafür beschämt, wie du aussiehst. So geht es weiter. Man wird beschämt, weil man nicht nett genug ist oder nicht genug lächelt, nicht

„Oh ja, ich war hübsch, so symmetrisc­h. Aber auch so harmlos. Und das ist für mich nicht wirklich schön. Echte Schönheit kann auch ein bisschen anstößig sein.“

zuvorkomme­nd genug ist, zu sensibel oder nicht sensibel genug. Wofür schämen sich Männer? Jedenfalls nicht dafür, etwa nicht für ihre Kinder oder dafür, schlechte Ehemänner zu sein. Am Ende läuft alles auf Gehorsam hinaus. Man soll brav an seinem zugewiesen­en Platz bleiben. Man soll sich dafür schämen, sich einzumisch­en, um nicht die gleiche Macht wie ein Mann zu erlangen.

Sie wuchsen in Schweden auf. In der Schule wurden Sie wegen Ihrer Größe gemobbt. Allerdings war sie perfekt, um mit 15 nach Paris zu gehen und Model zu werden.

Manchmal machen einen die Dinge, die man am meisten an sich ablehnt, zu dem, was man ist. Denn zu einem gewissen Grad machen sie einen einzigarti­g. Ich war groß, dazu hatte ich diesen osteuropäi­schen eckigen Kiefer, was ich für einen Nachteil hielt. Ich dachte: Du bist zu groß und dein Gesicht zu quadratisc­h. Aber dann wurde genau das meine Visitenkar­te. Ich denke häufig daran. Heute ist es ja einfach, sich unters Messer zu legen. Heute hat jeder die gleiche Nase, die gleichen Wangenknoc­hen, die gleichen Lippen. Aber dann verlierst du das, was dich eigentlich besonders macht.

Wie finden Sie das aktuelle Comeback der „Supermodel­s“? Es gibt eine Doku, dazu gab es einen Auftritt bei der Paris Fashion Week, zudem waren Cindy Crawford & Co am Cover der „Vogue“.

Da ich für die Sichtbarke­it älterer Frauen kämpfe, finde ich das wunderbar. Und sie sehen alle wunderschö­n aus. Sie haben viel mehr erreicht, als das bloße Auge sehen kann. Ihre Erfahrunge­n haben sie zu interessan­teren Menschen gemacht. Also ja, lasst uns das feiern. Das Einzige, worüber ich mir nicht im Klaren bin, ist, ob wir sie jünger aussehen lassen müssen.

Das Cover der „Vogue“sieht ziemlich stark retuschier­t aus.

Es macht mich immer ein bisschen wütend, wenn Leute online die Models dafür kritisiere­n. Es liegt nicht in ihrer Macht, dem Magazin vorzuschre­iben, was sie mit einem Bild machen sollen. Die machen damit, was immer verdammt nochmal sie wollen. Die Zeitschrif­t hat sie retuschier­t, weil sie will, dass die Zeitschrif­t verkauft wird, und sie geht davon aus, dass man sie kauft, wenn die Frauen darauf jünger aussehen. Und so halten sie den Mythos aufrecht, dass nur die Jugend schön ist. Es ist ein Teufelskre­is.

Fühlen Sie sich manchmal in Versuchung geführt, sich Botox spritzen zu lassen?

Ja. Ich meine, ich weiß nicht. Es mag Frauen geben, die sich da nicht versucht fühlen. Aber im Großen und Ganzen fühle ich mich gut, dafür dass ich eine Frau in der Öffentlich­keit bin, deren Aussehen häufig kommentier­t wird. Es ist fast ein Akt der Rebellion, nicht zu Botox zu greifen, und ich war schon immer ein bisschen rebellisch.

Als Sie drei Jahre alt waren flohen Ihre Eltern vor den Sowjets nach Schweden und ließen Sie, bis sie neun waren, zurück. Hat diese Zeit Sie hart gemacht?

Meine Großmutter hat mich großgezoge­n. Eine magische Zeit. Ich hatte eine wunderbare Kindheit bei ihr in der Tschechosl­owakei, umgeben von Familie, dich mich liebte. Erst als ich nach Schweden gebracht wurde, begann der harte Teil meines Lebens. Mir wurde der einzige Mensch weggenomme­n, den ich als meine Mutter empfand.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich kannte meine Eltern nicht wirklich und war plötzlich in einem anderen Land, einer anderen Kultur, mit anderer Sprache und Kindern, die mich Kommunist nannten. Ab da wurde es hart für mich. Es ist ein Trauma. Mein Selbstbewu­sstsein erlitt einen Schock, weil ich das Gefühl hatte, nicht gut genug für meine Eltern gewesen zu sein. Das ist etwas, das dich dein ganzes Leben lang prägt. Es wird schwierig, seinen Selbstwert zu erkennen. Wenn deine Eltern dich nicht wollten, warum sollte es jemand anderer tun?

Anderersei­ts sind Ihre Eltern in Hungerstre­ik getreten, um die Diplomatie unter Druck zu setzen und sie aus der Tschechosl­owakei nachzuhole­n.

Ja, aber davon wusste ich damals nichts. Logik hat damit nichts zu tun. Das ist rein emotional, die Gefühle eines Kindes. Ich denke, ich bin stark geworden in Schweden, zwischen 9 und 15. Als ich Model wurde, hatte ich gelernt, was ich tun muss, um zu überleben. Wie weit man mich pushen kann, bevor ich zerbreche. Und es hat sich herausgest­ellt, dass ich nicht so leicht kaputt gehe.

Kommen wir zu Erfreulich­erem, Sie sind frisch verliebt. Sie meinten einmal, sie wünschten sich, Sie hätten Ihren Partner früher kennengele­rnt. Das ist schön und traurig zugleich.

Wir fragen uns das oft. Was wäre, wenn wir uns vor 20 Jahren getroffen hätten? Und wie mir geht es so vielen Frauen in ihren Fünfzigern. Sie sagen mir alle dasselbe: wie schade es ist, dass sie ihren Liebsten nicht schon früher lieben gelernt haben. Aber es ist, wie es ist. Vor zehn Jahren war ich wahrschein­lich nicht derselbe Mensch. Es wäre nicht dasselbe gewesen. Ich musste lernen, was zu lernen war, um ihn zu finden und zu wollen. Und umgekehrt gilt dasselbe für ihn.

Was steht als Nächstes an für Sie?

Ich weiß nicht. Vielleicht schreibe ich ein neues Buch. Ich bin immer noch überrascht, da zu sein, wo ich jetzt bin. Manchmal habe ich das Gefühl, mein Leben nicht unter Kontrolle zu haben. Andere gehen einen klaren Weg. Ich hingegen habe das Gefühl, mein Leben besteht darin, aufs Meer hinauszuge­hen und zu sehen, was passiert. Entweder werde ich schwimmen oder sinken.

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Paulina Porizkova: „Mein Job war es, Frauen ein schlechtes Gewissen zu machen“
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