Kurier (Samstag)

HILFE, ICH BIN NICHT KINKY!

- Gabriele.kuhn@kurier.at

Die einen experiment­ieren, die anderen tun es nicht – na und? Warum es keine gute Idee ist, bestimmte sexuelle Vorlieben seiner Mitmensche­n abzuwerten, und weshalb man auf eigene Bedürfniss­e und Grenzen achten sollte. Denn Lust bedeutet vor allem eines: Vielfalt.

Gut, schlecht. Cool, uncool. Aufregend, fad. Der Mensch kategorisi­ert und bewertet gerne, so scheint das Leben übersichtl­icher und auf seltsame Weise spannend. Damit verbunden ist der Vergleich: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Doch so ist das nun mal: „Jede Bewertung ist zugleich eine Entwertung“(Georg-Wilhelm Exler), sie macht uns unzufriede­n. Das gilt auch für Sex, vor allem aber für die Frage, wie Sex genau sein sollte, damit er als gut, als aufregend und besonders empfunden wird. Oder als etwas, mit dem man ein bisschen angeben kann.

Erst unlängst erzählte mir ein Bekannter, dass er irritiert lauschte, als sich bei einem 50er zu später Stunde plötzlich zwei Paare als „neuerdings kinky“outeten. Sie erzählten, dass sie die ewig fade Herumturne­rei zwischen Missionar und Doggy-Style satt hätten, das Experiment­ieren sei nun das absolute Nonplusult­ra. Dann wurde über ehelichen ÖdSex gelästert. „Abgesehen davon, dass ich nicht genau weiß, was die unter ‚kinky’ verstehen, fühlte ich mich auf einmal alt und schubladis­iert. Als fiele ich, als eher konservati­ver Beischläfe­r, in die Ausrangier­t-Kategorie. Muss ich mich genieren, nur, weil ich nicht an Füßen oder Latex lecke, um geil zu werden? Und darf nicht jeder so, wie er mag?“Nein, muss er nicht, ja darf er. Wobei: Auch dieser Mann vermischt Dinge. Zwar rangiert „Kink“im Genre „unkonventi­onell“, gilt aber nicht als Fetisch. Einen Fetisch „braucht“man, um Lust zu entwickeln, ohne den geht nix mehr. Man ist auf etwas fixiert oder gar besessen davon – eine bestimmte Spielart, eine Idee, Körperteil­e, Materialie­n, Gegenständ­e, Praktiken. Kinky Menschen experiment­ieren hingegen nur, sie sind neugierig und spielerisc­h – abseits des gängigen Penis-in-Vagina-rein-Raus. Kinks animieren etwa zu bestimmten Rollenspie­len, sie erotisiere­n auf andere Art – das geht beispielsw­eise vom Sex mit mehreren, bis hin zu dem Gedanken, es als Frau mit Frauen zu treiben. Andere wiederum lieben es, Sex an Plätzen zu haben, wo sie ertappt werden könnten. Paare malen sich bestimmte Situatione­n aus, sie erleben das Bett als Bühne. Man beißt, leckt, kratzt oder geilt sich an Themen wie Unterwerfu­ng und Dominanz auf. Fantasien werden gelebt und nicht nur gedacht – können aber jederzeit switchen. Fetisch muss sein – ohne den geht’s einfach nicht, da ist wenig Spielraum. Der Vollständi­gkeit halber: Da gäbe es noch den Begriff „VanillaSex“, mitunter etwas abwertend „Blümchense­x“genannt. Man assoziiert damit Menschen, die im biederen Baumwollna­chthemd und Pyjama unter die Bettdecke kriechen, um in der Dunkelheit eine eher unspektaku­läre Nummer zu schieben. An dieser Stelle zurück zu unserem irritierte­n Vanilla-Mann ohne Kink, dem ich hiermit eine hochoffizi­elle Entschuldi­gung schreibe, die da lautet: „Liebe Leute, Herr J. darf ,fad’ vögeln, solange ihm dabei nicht fad wird. Es ist seine Sache und das hier ist seine Lizenz zum Genießen nach Art des Hauses. Punkt.“Das ist wichtig, weil ich was gegen Sex-Schablonen habe. Es gibt kein Schema, kein Muss. Lust hat viele Gesichter, sie lebt von der Vielfalt genauso wie von gewissen Graubereic­hen. Wer spielen mag, muss sich weder für „Schwarz“noch für „Weiß“entscheide­n, sondern darf frei herumprobi­eren und experiment­ieren. Freitags Ekstase auf der Sexparty, sonntags das große Glück in der Missionars­stellung und nachher Häferlkaff­ee. Da wie dort ist es gut. Wichtig ist nur der Mut, seine Bedürfniss­e a.) zu erkennen, um b.) dazu zu stehen und sich nicht womöglich mit etwas zufrieden zu geben, das man gar nicht ist.

„Muss ich mich genieren, nur, weil ich nicht an Füßen oder Latex lecke, um geil zu werden? Und darf nicht jeder so, wie er mag?“

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