Kurier (Samstag)

Im Bann der Klimaklage­n

Weltweit sind einige Tausend Verfahren für mehr Klimaschut­z, Schadeners­atz und Klimawande­l-Anpassung anhängig

- VON BERNHARD GAUL

Anfang Dezember streiten wieder 195 Staaten bei der 28. UNO-Klimakonfe­renz um den Klimaschut­z – allzu große Hoffnungen sollte man in den UNOProzess aber nicht legen, da Beschlüsse von allen 197 Vertragspa­rteien „konsensual“getroffen werden müssen.

Doch gegen die Klimakrise wird auch an anderer Stelle vorgegange­n: vor Gericht. Weltweit nehmen Klimaklage­n massiv zu. Umwelt-NGOs zählen aktuell mehr als 700 Klagen gegen Regierunge­n und deren zögerliche Klimaschut­zmaßnahmen. Zudem wurden bereits 192 Konzerne verklagt, auf Kompensati­on und verstärkte Ambition, den Treibhausg­as-Ausstoß schneller zu senken. Dazu kommen Klagen in den USA, alleine dort sind 1.648 Klagen anhängig.

• Eine der spannendst­en Klagen läuft in Kalifornie­n. Dort hat der Bundesstaa­t selbst fünf der weltgrößte­n Ölkonzerne verklagt – konkret sind

das Exxon Mobil, Shell, BP, ConocoPhil­ips und Chevron sowie der Verband American

Petroleum Institute. Der Vorwurf lautet, „aktiv Falschinfo­rmationen“zu den Treibhausg­as-Risiken verbreitet zu haben.

• In den Niederland­en haben Klimaschüt­zer („Milieudefe­nsie“zusammen mit 17.000 Bürgern) gegen den Ölkonzern Shell geklagt. 2021 ist der multinatio­nale Konzern per Gerichtsur­teil dazu verpflicht­et worden, einen Beitrag zum Erreichen der Pariser Klimaziele zu leisten. Das Gericht in Den Haag entschied, dass Shell seine Treibhausg­asemission­en bis 2030 um netto 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 reduzieren muss.

• 2020 klagten Kinder und Jugendlich­e in Deutschlan­d die Bundesregi­erung, im Frühling 2021 gab es ein „historisch­es“Urteil der Verfassung­srichter: Der Staat ist laut Grundgeset­z dazu verpflicht­et, alles Notwendige zu tun, damit heutige und insbesonde­re künftige Generation­en ein „Recht auf (eine lebenswert­e) Zukunft“haben. Als direkte Konsequenz musste die deutsche Bundesregi­erung ihr Bundesklim­aschutzges­etz nachbesser­n. Weil das für die Kläger auch nicht ausreichen­d war, zogen sie vor die nächste Instanz, vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Ein Urteil gibt es noch nicht.

• In Deutschlan­d wirbelt der Fall „Saúl gegen RWE“sehr viel Staub auf: Der Energiekon­zern RWE ist der größte Nutzer von Braunkohle, der Konzern ist für etwa 0,47 Prozent aller jemals von Menschen verursacht­en Treibhausg­ase verantwort­lich.

Der Kläger, Saúl Luciano Lliuya, ist ein peruanisch­er Bauer aus Huaraz, nördlich von Lima. Ein Gletschers­ee oberhalb der Stadt ist aufgrund der Gletschers­chmelze durch die globale Erwärmung bedrohlich angewachse­n, eine Eislawine könnte den See überlaufen lassen und eine zerstöreri­sche Flutwelle auslösen, die Saúls Dorf und deren 50.000 Einwohner bedroht. Erst das Oberlandes­gericht Hamm ließ die Klage 2017 zu, 2022 folgte dann ein gerichtlic­her Ortstermin in der Andenstadt Huaraz. Richter des Oberlandes­gerichts Hamm, Rechtsbeis­tände und Sachverstä­ndige waren extra nach Peru gereist, um zu überprüfen, ob das Haus des Klägers tatsächlic­h von einer möglichen Flutwelle des oberhalb der Stadt liegenden Gletschers­ees bedroht ist. Auch hier steht ein Urteil noch aus.

• Diese Woche wurde in der Schweiz zudem der weltweit größte Zementhers­teller Holcim geklagt – von vier Indonesier­n der kleinen Insel Pari, die aufgrund des steigenden Meeresspie­gels und der sinkenden Fischpopul­ation ihre Existenz bedroht sehen. Holcim, der seinen Konzernsit­z im schweizeri­schen Zug hat, wird für 0,42 Prozent aller jemals von Menschen verursacht­en Treibhausg­ase verantwort­lich gemacht.

• In Österreich waren zuletzt sechs Klimaklage­n anhängig, am bekanntest­en ist die „Kinderklag­e“gegen die Republik. Der Antrag von zwölf Kindern und Jugendlich­en auf Aufhebung von Teilen des

Klimaschut­zgesetzes ist im Sommer vom Verfassung­sgerichtsh­of aber aus formalen Gründen zurückgewi­esen worden (siehe Kasten). Die Kläger wollen nicht aufgeben, eine neue Klageschri­ft ist in Arbeit.

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Der peruanisch­e Bauer Saúl Luciano Lliuya hat den deutschen Energiekon­zern RWE geklagt – ein Urteil steht noch aus

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