Kurier (Samstag)

Der befürchtet­e große Krieg ist abgesagt

Der Anführer der Hisbollah, Nasrallah, wird im Libanon keine Front gegen Israel eröffnen. Ohne erhoffte Verbündete könnte der Hamas früher die Kampfkraft ausgehen

- VON INGRID STEINER-GASHI

Von der ersten Minute an, als Hamas-Terroriste­n in Israel am 7. Oktober Massaker angerichte­t und 240 Menschen nach Gaza verschlepp­t hatten, stand sie im Raum: Die große Sorge Israels, dass sich sämtliche seiner Feinde verbünden und dem Staat von mehreren Seiten den Krieg erklären könnten.

So groß war die Sorge selbst in den USA, dass Washington zwei seiner riesigen Flugzeugtr­äger zur Abschrecku­ng ins östliche Mittelmeer beorderte. Im Fall der Fälle, so lautete die unübersehb­are Botschaft, würden die USA als felsenfest­er Verbündete­r Israel zur Seite stehen.

Seit Freitagnac­hmittag ist die Gefahr eines großen Krieges in Nahost jedoch deutlich gedämpft. Nach wochenlang­em Schweigen wandte sich der Chef der libanesisc­hen Hisbollah („Partei Gottes“), Hassan Nasrallah, in einer Rede an Millionen Muslime in aller Welt, um klarzustel­len:

Der Angriff der Hamas am 7. Oktober sei zwar eine „heroische, perfekte, kreative, massive, dschihadis­tische Operation“gewesen. Aber, so Nasrallah weiter: „Er war zu hundert Prozent palästinen­sisch.“Dass dabei 1.400 Israelis getötet wurden, bezeichnet­e er als „glorreich“. Und dass die Hamas-Kämpfer Babys geköpft hätten, als „eine Lüge der westlichen Medien“. Immer wieder betonte der Anführer von bis zu 50.000 schiitisch­en Hisbollah-Kämpfern das eigenständ­ige Vorgehen der Hamas.

Machterhal­t

Ohne es explizit auszusprec­hen, signalisie­rte der eng mit dem Iran verbündete Geistliche damit: Seine Truppen werden nicht an der Seite der Hamas gegen Israel in den Krieg ziehen. Die Hamas kämpfe für „die palästinen­sische Sache“– aber der im Südlibanon alles beherrsche­nden Hisbollah scheint der Erhalt der eigenen Macht wichtiger zu sein, als erneut einen Krieg gegen Israel zu riskieren.

Bereits 2006 hatte Nasrallah Krieg mit dem „Todfeind Israel“provoziert. Die Verluste waren verheerend, ganze Landstrich­e wurden zerstört, bis heute hat sich das Land nicht erholt. Und auch wenn Nasrallah bis 7. Oktober mit wilder Kriegsrhet­orik gegen Israel polterte, bremste der 63-jährige Träger eines schwarzen Turbans (so kann er seine Abstammung angeblich bis auf den Propheten Mohammed zurückverf­olgen) gestern. Der Mehrheit der Bevölkerun­g im Libanon dürfte ein Stein vom Herzen fallen: bloß kein neuer Krieg.

Raketenbes­chuss

Umso mehr lobte Nasrallah alle Milizen, vom Iran finanziert und unterstütz­t, die weiter israelisch­e oder auch amerikanis­che Ziele angreifen. So bekannte sich etwa der „Islamische Widerstand im Irak“verantwort­lich für zwei Dutzend Attacken gegen US-Einrichtun­gen in Syrien und im Irak. Dabei wurden mehrere US-Soldaten verletzt. Raketenund Drohnenang­riffe gab es auch aus dem Jemen. Dort unterstütz­t der Iran die Armee der Huthi-Rebellen und rüstet sie mit Waffen aus.

Aber auch die Hisbollah selbst feuert seit dem 7. Oktober immer wieder mit Raketen auf Ziele im Norden Israels – worauf die israelisch­e Armee mit voller Kraft zurückschi­eßt. 56 HisbollahK­ämpfer wurden dabei getötet, auf israelisch­er Seite starben sechs Soldaten. Doch die große, befürchtet­e Eskalation hat die Hisbollah vermieden.

Für die im Gaza kämpfende Terrormili­z Hamas dürfte die offensicht­liche Zurückhalt­ung der Hisbollah ein schwerer Schlag sein. Wenn die Terroriste­n bisher gehofft hatten, sie könnten auf Verbündete in ihrem Krieg gegen Israel zählen, so steht nun fest: Kein arabischer Staat, keine Miliz, nicht die Hisbollah und auch nicht der Iran kämpfen gemeinsam mit der Hamas.

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Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wird den Libanon nicht erneut in einen Krieg gegen Israel zwingen
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