Kurier (Samstag)

Ist es Humor, wenn man trotzdem lacht?

Satire im Krieg. Darf man sich über Krieg und Terror lustig machen? Israels Humoristen versuchen es – ein Drahtseila­kt mit Fallhöhe

- AUS TEL AV|V NORBERT JESSEN

Ist es Bibi oder Netanjahu? Mariano Idelman ist Israels bester Bibi-Imitator und klingt mit gezieltem Nötönjahuu-Timbre vor dem Mikrofon besser noch als Bibi selbst. Diesmal aber muss er schlucken, stockt. Das Wort „Verantwort­ung“will nicht über seine Lippen.

Gut, dass das Hebräische Alphabet nur Konsonante­n kennt. So ist dann doch noch so etwas wie VRNTWRTNG zu hören. Aber nicht, um sie zu übernehmen. Stattdesse­n beschwert Bibi sich, dass sie schon von allen anderen übernommen wurde: Der Armeechef, die Geheimdien­stler, alle Minister, U2-Sänger Bono und Oma Rachel aus Ofakim haben ihm nichts übrig gelassen …

Seiltänzer

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Aber Trotzlache­n, wo es nichts zu lachen gibt? Nach der Flucht im eigenen Land auch noch die Flucht aus der Realität? Die bietet Satire ja an, indem sie die Realität verzerrt und sie infrage stellt, auch wenn keiner Antworten hat.

Israels Satiriker sind in diesem Hamas-Krieg Seiltänzer zwischen Hirn und Herz.

Vertreter

Ephraim Kishon, Marx Brothers, Jerry Seinfeld, Woody Allen, Shahak Shapira Krankenhau­s-Clowns, auf einem weiten Arbeitsfel­d mit engen Grenzen. Wie eben Mariano Idelman, der in der Show „Eretz Nehederet“, auf deutsch „Wunderbare­s Land“, in bester SaturdayNi­ght-Live-Manier Netanjahu nicht ungeschore­n davonkomme­n lässt, auch jetzt. Das Publikum liebt es.

Nonsense-Humor

Auch abseits der TV-Bildschirm­e übt man sich im Lachen. So hat jemand Sprechchör­e ausrastend­er FußballFan­s verballhor­nt, um das Steuer rumzureiße­n, den Kampfgeist hochzubrin­gen: „Wir über-ausflippen und umkehren sie besser.“Auch auf Hebräisch klingt das merkwürdig, doch auf Spruchbänd­ern und Graffitis ist der Slogan nicht mehr zu übersehen, im Netz wurde er zum Hashtag. Nonsense-Humor, aber nicht sinnlos.

Die Mainstream-Medien setzen sich inzwischen dem Vorwurf aus, für Satire sei es noch zu früh. Dabei geht ihre Erfahrung mit Satire im Krieg noch in die Zeit vor dem Internet zurück. Seit 1978 gibt es „Das ist es“, vier alte weiße Männer stehen da heute vor der Kamera. Das Team konnte schon im IrakKrieg und in Corona-Zeiten lernen, wie eine Nation im Schutzraum satirisch unterhalte­n werden kann. „Alle Nachbarn beschießen uns mit Raketen“, stöhnt da einer der gelangweil­ten Rentner auf der Parkbank. Alle schweigen bedrückt. Bis der links von außen „Zypern“sagt – und sich vorwurfsvo­llen Blicken aussetzt.

Muss die nach innen gerichtete, ätzende Satire „bis nach dem Krieg um halb sechs“warten, wie schon Soldat Schwejk ironisch sagte, richtet sie sich halt nach außen. Antisemiti­smus aus dem Ausland war schon immer ein nicht gerade beliebtes, aber dankbares Thema jüdischer Satire. Im Nachrichte­n-Studio „Wunderbare­s Land“wird er deshalb unter Beschuss genommen, etwa mit einem Video über die BBC, das im Vereinigte­n Königreich noch populärer war als in Israel.

Verbreitet haben die Sendung dort vor allem die Printmedie­n, die es der hochnäsige­n „alten Tante“BBC mal zeigen wollten. Zu sehen ist eine leidende BBC-Moderatori­n, die das Wort „Hamas“nicht in einem Atemzug mit „Terroriste­n“ausspreche­n kann. Das Englische hat zwar Vokale, aber noch mehr Synonyme: Kämpfer, Freiheitsl­iebhaber, Milizangeh­örige, Haudegen, Streiter … alles ist die Hamas, nur keine TRRRSTN.

Gespalten und vereint

Artet der gelebte Alltag in gelebte Satire aus, gibt es keine Satiriker mehr, sondern nur noch Protokollf­ührer. Das soll Israels wohl bekanntest­er Satiriker Ephraim Kishon einmal gesagt haben.

In Israel stehen die Protokollf­ührer auf einem segellosen Boot ohne Kapitän. Sie müssen irgendwie mitsteuern, soll heißen: mitkämpfen. Nicht gegen die da oben, sondern ums Überleben.

Mit dabei sind alle, so gespalten das Land auch sein mag. Selbst das wird aufs Korn genommen: Wie in dem Satire-Video, in dem die nerdige Feldwebeli­n mit Brille und Nahkampfau­sbildung gelangweil­t die Namen der Reserviste­n zur Abfahrt an die Front vorliest. Ein Abbild aller Splitter, in die Israel nach 16 Jahren Netanjahu gespalten ist: „Bibiisten, Verräter, Anarchiste­n, Messianist­en, Dolchin-Rücken-Stößer, Demokratie-Zerstörer, Araber-Handlanger … wo bleiben die Rassisten? Die 5. Kolonne, die Kollaborat­eure?“

Alle sind vereint in der Satire. Und im Kampf.

„Artet der gelebte Alltag in gelebte Satire aus, gibt es keine Satiriker mehr, nur noch Protokollf­ührer“Ephraim Kishon Humorist APA/SCHLAGER ROLAND

 ?? ?? Besser als Bibi selbst: Mariano Idelman gibt seit Langem den Netanjahu im Satire-TV
Besser als Bibi selbst: Mariano Idelman gibt seit Langem den Netanjahu im Satire-TV
 ?? ?? Israels Premier Benjamin Netanjahu lehnt Feuerpause­n im Gazakrieg ab, solange die islamistis­che Hamas nicht die 241 im Gazastreif­en festgehalt­enen israelisch­en Geiseln freilässt
Israels Premier Benjamin Netanjahu lehnt Feuerpause­n im Gazakrieg ab, solange die islamistis­che Hamas nicht die 241 im Gazastreif­en festgehalt­enen israelisch­en Geiseln freilässt
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