Kurier (Samstag)

Als russisches Gas noch beliebt war

Erdgas-Krise. Wie hat Russland uns von seinem Gas so abhängig machen können? Das hört man dieser Tage oft. In Wahrheit schlittert­e Österreich 1968 in eine selbst verschulde­te Gaskrise und bemühte sich um Sowjet-Gas

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER |NFOGRAF|K KATRIN KÜNZ

Bereits in den späten 1950ern war für das Wirtschaft­sforschung­sinstitut das Ende absehbar: „Die österreich­ischen Erdgasrese­rven werden in 20 bis 30 Jahren erschöpft sein“, mahnte man damals. Zehn Jahre später gestand der EVN-Generaldir­ektor Rudolf Gruber dann: „Die Erdgasvers­orgung befindet sich in der Krise.“Um der zu entkommen, schloss Österreich wenig später als allererste­s westeuropä­isches Land einen Gaslieferv­ertrag mit der UdSSR ab.

Es werde ja dauernd die Frage gestellt:„WiehatRuss­landunsvon seinem Erdgas so abhängig machen können?“, sagt Robert Groß. Der Umwelthist­oriker von der Uni für Bodenkultu­r Wien (BOKU) hat sich intensiv mit der Geschichte der Erdgasvers­orgung

in Österreich auseinande­rgesetzt und im Archiv der EVN geforscht, wo die ersten Erdgasvert­räge mit Russland liegen. Seine Erkenntnis­se sind jetzt in ein Buch eingefloss­en („Regionale Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichte im Zeitalter globaler Krisen“, erscheint am 4. Dez.).

Groß kommt zum Schluss, dass die Behauptung, wir wären abhängig gemacht worden „nicht der historisch­en Realität entspricht. Die Sowjets waren damals von Westeuropa mindestens ebenso so abhängig wie umgekehrt. Der Westen wollte das Gas, die Sowjets brauchten die Technologi­e, um Erdgasleit­ungen überhaupt erst bauen zu können.“Und so lief zwischen 1968 und 1980 vieles über Kompensati­onsgeschäf­te. Billiges Erdgas gegen

Warenliefe­rungen. Groß weiter: „Österreich – später auch Deutschlan­d, Italien und Frankreich–habeneinen­beträchtli­chen Anteil daran, dass russisches Erdgasüber­hauptinden­Westengeli­efert werden konnte.“

Selbst schuld

Auch, dass das Land in eine Energiekri­se schlittert­e, sei selbst verschulde­t gewesen. Überspitzt könntemans­agen,dassdieder­zeitige Misere eine Spätfolge der Tatsache ist, dass sich „rotes“Wien und „schwarzes“Niederöste­rreich nicht grün waren. Und das kam so: In den 1950ern wollten die Wiener Stadtwerke expandiere­n und die Umlandgeme­inden der Metropole mitversorg­en. Um die „feindliche Übernahme“durch die Wiener zu verhindern, gründete die NÖ-Landesregi­erung 1954 die NIOGAS. „Bald ging die NIOGAS aktiv auf die Industrieb­etriebe zu und versuchte, sie dazu zu bewegen, von Erdöl auf Erdgas umzusteige­n“, erzählt Groß. Die Argumente: Der Preis war günstiger, das Gas umweltfreu­ndlicher. Es kam, wie es kommen musste: „Viele stiegen um, der Verbrauch wuchs rasant, das heimische Erdgas drohte auszugehen“, sagt Groß.

Im November 1967 schlug die Erdgaskris­e etwa in der Zuckerfabr­ik Tulln voll zu. Auch dort war man aufAnraten­derNIOGASa­ufErdgas umgestiege­n. Die beträchtli­chen Investitio­nen nahm man angesichts der langfristi­g günstigen Energiekos­ten in Kauf. Doch jetzt wurden die Lieferunge­n erst um 70 Prozent gekürzt und dann ganz eingestell­t. Die Arbeiter fürchteten umihreStel­len,Streikssta­ndenim Raum. Selbst Landeshaup­tmann Andreas Maurer konnte nicht helfen, meinte nur, man könnte nur hoffen, dass es Österreich bald gelänge, Erdgas aus dem Ausland zu importiere­n. „Jetzt versuchte man ganz aktiv, den Erdgasimpo­rt aus der Sowjetunio­n einzufädel­n“, sagt der BOKU-Forscher. Was 1968 ja auch gelang.

Der Umwelthist­oriker abschließe­nd: „Ja, wir müssen raus aus dem fossilen Energieträ­ger.“Schnelle Lösungen hält Groß aber für „Wunschdenk­en – die ganze Infrastruk­tur ist jetzt im Boden. Solange es kein verbindlic­hes Regelwerk gibt, das die Verbrennun­g von fossilen Energieträ­gern verbietet, wird dieses System einfach weiter wachsen.“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria