Ein halber Freispruch für den Handel
Teure Lebensmittel. Die Bundeswettbewerbsbehörde konnte keinen Nachweis für Übergewinne oder „Gierflation“im Handel finden, wohl aber Hinweise auf unfaire Verhandlungspraktiken gegenüber Lieferanten
„Die Anzahl der eingemeldeten unfairen Praktiken gegenüber Lieferanten ist beunruhigend“Natalie Harsdorf-Borsch BWB-Chefin
Monatelang haben neben den Energiepreisen insbesondere die hohen Lebensmittelpreise im Supermarkt die Debatte über die Rekord-Inflation bestimmt. Viele Beteiligte wollten im Handel, wo die vier dominanten Player – Spar, Rewe, Hofer und Lidl – mehr als 90 Prozent des Marktes beherrschen (Deutschland 76 Prozent) den Schuldigen für überdurchschnittlich hohe Preissteigerungen ausgemacht haben. Letztlich führte das zu einer breit angelegten Branchenuntersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), deren Ergebnisse am Freitag von der neuen Behörden-Chefin Natalie HarsdorfBorsch präsentiert wurden.
Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung sind:
1
Die Handelsspanne ist zwischen 2021 bis Mitte 2023 weitgehend unverändert geblieben, die Gewinnmargen der Supermarktketten hätten sich eben „nicht signifikant verbessert“. Das bedeutet, es wurden laut BWB keine Übergewinne seitens der Handelskonzerne eingefahren oder ungerechtfertigte Gewinne im Windschatten der allgemeinen Teuerungsentwicklung (Stichwort: „Gierflation“) gemacht. Vielmehr hätte auch der Handel hohe Kostensteigerungen tragen müssen, beispielsweise 38 Prozent bei der Energie im Jahr 2022. Branchenvertreter beeilten sich daher am Freitag zu betonen, man sei Opfer und nicht Verursacher der Teuerungskrise.
2
Die Verhandlungsmacht der vier Handelsriesen sei angesichts ihrer Marktanteile aber enorm und führe insbesondere gegenüber ihren Lieferanten nicht selten zu unfairen Praktiken, sagt die BWB. Das hätten 40 Prozent der 1.500 befragten Lieferanten zu Protokoll gegeben. Eine „beunruhigend“hohe Zahl, wie die BWB-Chefin meinte. Hier wird nun weiter recherchiert und versucht, den einen oder anderen Vorwurf – Preisdrückerei, Drohung mit Auslistung etc. – zu konkretisieren, um tatsächlich ein Verfahren vor dem Kartellgericht eröffnen zu können. Welche Händler hier konkret geklagt werden sollen, wollte oder konnte Harsdorf-Borsch nicht kommentieren.
3
Um die Transparenz, was die Preise von Lebensmitteln anbelangt, ist es im Handel mit all seinen Rabattaktionen und Lockangeboten nicht zum Besten bestellt, sagt die BWB. Die Ketten untereinander würden sehr viel Aufwand betreiben, um die Angebote der Konkurrenz zu kennen und oftmals regelrecht zu kopieren. Doch Hinweise für verbotene Absprachen fänden sich wiederum nicht. Harsdorf-Borsch fordert mehr Transparenz und einen besseren Datenzugang für Preisvergleichsportale. Das würden sich 85 Prozent der rund 1.000 befragten Haushalte wünschen.
4
Deutlich höhere Preise im Vergleich zu Deutschland, also der von der AK seit Langem behauptete „Österreich-Zuschlag“von 13 Prozent, wurden von der BWB bestätigt. Dafür sei vor allem die länderspezifische Preispolitik der international aufgestellten Lebensmittelindustrie verantwortlich. Dieses Thema hat die BWB an die EU-Kommission weitergereicht.
5
Vermeintlich günstige Eigenmarken seien in Relation teurer geworden als Markenprodukte. Ärmere Schichten, die einen höheren Einkommensanteil für den täglichen Einkauf bräuchten, hätten daher doppelt gelitten.