Songs für die Zeit der Liebe
Gespräch. Gregory Porter erzählt, warum er zu Weihnachten trotz der Kriege Hoffnung auf Frieden hat, und wie seine Mutter sein Weihnachtsalbum „Christmas Wish“prägte
Kürzlich musste Gregory Porter auf der Bühne weinen. Es passierte bei „Everything’s Not Lost“, einem Song, in dem er sich wünscht, blind zu sein, weil er das Leid auf der Welt nicht mehr mitansehen kann.
„Ich hatte am Abend vor dem Auftritt all die Bilder vom Krieg im Nahen Osten gesehen, das Leid der Kinder“, erzählt der Jazz-Sänger im KURIER-Interview. „Daran musste ich beim Singen denken. An die Idee, dass all das eigentlich keiner will – die Bomben, das Verschleppen von alten Frauen, die Geiseln. Trotzdem passiert es. Die Idee, dass das kein vernünftiger Mensch will, ist aber auch genau das, was mir Hoffnung auf Frieden gibt.“
Diese Hoffnung kommt im Refrain von „Everything’s Not Lost“zum Ausdruck. Das Lied ist eines von drei Eigenkompositionen, die Porter neben Klassikern wie „Silent Night“oder „Little Drummer Boy“auf sein eben erschienenes Album „Christmas Wish“gepackt hat.
Neuausrichtung
„Ich rede dabei über die Weltlage, aber es entstand aus dem Wunsch, dass Weihnachten und die Neuausrichtung, die mit dem Fest und dem Beginn des neuen Jahres einhergeht, meine negativen Gefühle wegwaschen. Denn ich hatte viel Schmerzliches in meiner Familie zu verarbeiten.“
Porters Frau ist nämlich Russin. Ihre Familie aber hat ukrainische Wurzeln und lebt in Taganrog, nur 60 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, hinter der die schwer umkämpfte Stadt Mariupol liegt. „Wir haben bisher niemanden aus der Familie meiner Frau verloren, aber es fielen in Taganrog schon Bomben. Und natürlich gibt es ständig Angst und unglaublich viele andere schwierige Gefühle.“
Zusätzlich musste Porter den Tod seines Bruders verkraften, der zu Beginn der Pandemie nach einer Corona-Erkrankung starb. Auch ihm setzt er in den neuen Songs ein Denkmal. „Weihnachten
war sein Fest. Er hat es geliebt, dass wir alle zusammenkommen. Er hat es geliebt, sich über mich lustig zu machen, weil ich mit den Kindern, den Geschenken und dem Essen zwölf Bälle gleichzeitig jonglierte.“
Selbstlos
Porter muss lachen, als er sich daran erinnert. Denn in „Heart For Christmas“, einem weiteren selbstverfassten Song, geht er darauf ein, was er als Kind an Weihnachten geliebt hat. Und das waren nicht die Geschenke.
„Als ich Kind war, hatten wir nicht viel Materielles“, sagt er. „Aber die Wärme, die ich durch die Nähe zu meiner
Familie gespürt habe, ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Wir hatten diese Zeit dafür reserviert, einander, aber auch anderen, Liebe zu zeigen.“
In „Christmas Wish“, dem dritten neuen Song auf dem Album, beschreibt der heute 52 Jahre alt gewordene Amerikaner, wie seine Mutter zu Weihnachten seinen Sinn für Selbstlosigkeit schärfte.
„Sie hat einen Haufen Essen gekocht und dann an die Obdachlosen verteilt. Jeden Tag war die Frage, was wir heute tun können, um jemandem zu helfen. Wir waren acht Kinder, saßen um den Tisch, packten Äpfel und andere Kleinigkeiten in Sackerl,
um die zu verschenken. Wir hörten Weihnachtslieder und hatten einen Riesenspaß dabei.“
Die Mutter erwähnt Porter gerne in seinen Songs. Nur wegen ihr macht er heute noch Musik. „Ich war 21, als sie starb. In unserem vorletzten Gespräch sagte ich, dass ich mir bei der Stadt eine Arbeit suchen will. Aber sie sagte ganz streng: Nein, nein, vergiss nicht auf deine Musik! Das war wie ein Auftrag und ein Versprechen. Deshalb habe ich immer daran festgehalten und nie aufgegeben, obwohl es oft so ausgesehen hat, als hätte ich keine Chance mehr auf eine Musikkarriere.“
„Die Idee, dass eigentlich kein vernünftiger Mensch all die Bomben und die Geiseln will, gibt mir Hoffnung“Gregory Porter Jazz-Musiker