Kurier (Samstag)

„Wir sind nicht erpressbar“

Johannes Hahn. Als Kommissar für den Haushalt ist der Österreich­er verantwort­lich für Einnahmen und Ausgaben der EU – und die sind gerade wieder einmal heftig umstritten

- AUS BRÜSSEL KONRAD KRAMAR

Es ist sein dritter Job als EUKommissa­r und allem Anschein nach der heikelste. Als Budgetkomm­issar muss Johannes Hahn die Arbeit der EU mit den Interessen von 27 Mitgliedss­taaten in einem Haushalt unterbring­en. Mitten in den Verhandlun­gen über das aktuelle, aber auch das langfristi­ge EU-Budget sprach Johannes Hahn mit dem KURIER.

KURIER: Was sind die wichtigste­n Herausford­erungen bei Verhandlun­gen um ein EU-Budget?

Johannes Hahn: Die einzelnen Mitgliedss­taaten haben völlig unterschie­dliche Vorstellun­gen, was ihnen wichtig ist. Bei manchen ist es Forschung, bei manchen der Schutz der Außengrenz­en. Ich habe 22 Hauptstädt­e besucht, wobei mir alle Finanzmini­ster, die ich getroffen habe, gesagt haben: Sie wollen nicht, dass die Ausgaben für Landwirtsc­haft und die für die Regionalfö­rderung und die Strukturfo­nds gekürzt und angegriffe­n werden. Wenn ich aber diese Budgetpost­en nicht antaste, müsste ich andere bestehende Programme zwischen dreißig und vierzig Prozent kürzen. Es ist also nicht so, dass wir uns sperren. Ich brauche nur einen Konsens der Mitgliedss­taaten, wo sie kürzen wollen.

Österreich will ja die Mittel, die die EU etwa für die Ukraine braucht, durch Umschichtu­ng im EU-Budget aufstellen und keine neuen Gelder zur Verfügung stellen.

Das EU-Budget für 2021– 2027 macht rund ein Prozent der europäisch­en Wirtschaft­sleistung aus und eines meiner größten Probleme ist: Wenn das Budget beschlosse­n wird, sind 99 Prozent fix vergeben. Es gibt ein Kernbudget von rund 180 Milliarden jährlich. Wir haben für die restlichen vier Jahre des

MFF (langfristi­ge EU-Finanzplan­ung, Anm.) bis 2027 eine Aufstockun­g von 66 Milliarden vorgesehen. Die Idee, das durch Umschichtu­ng zu finanziere­n, auch vor dem Hintergrun­d, dass 99 Prozent des Budgets fix vergeben sind, ist nicht umsetzbar. Bei einem unserer jüngsten Vorschläge zur Umschichtu­ng haben sich spontan 12 Mitgliedss­taaten dagegen ausgesproc­hen, weil sie nicht wollten, dass sich etwas verändert.

Stecken die Verhandlun­gen also fest, wie berichtet wird?

Langsam kommen die Dinge in Bewegung, kommt die Einsicht, dass ich diese Summe nicht nur durch Umschichtu­ngen bereitstel­len kann. Ein gewisser Realismus muss Platz greifen, eine Einsicht, dass die Manövrierm­öglichkeit­en begrenzt sind. Wir machen realistisc­he Vorschläge, doch dem EU-Parlament ist das immer zu wenig und dem EU-Rat ist das immer zu viel. Wenn mich 27 Staaten kritisiere­n, habe ich es richtig gemacht. Problemati­sch ist, wenn 15 applaudier­en und zwölf kritisiere­n. Dann ist mein Vorschlag nicht balanciert.

Die Ukraine verhandelt über einen Beitritt. Würde der die EU nicht überforder­n?

Die Ukraine hat ein unglaublic­hes Potenzial. Das Land ist ja reich, das wird kein ewiger Empfänger von Fördergeld­ern sein. Sie hat in vielen Bereichen unser Regelwerk schon übernommen und ist eine wachsende Volkswirts­chaft, für internatio­nale Investoren hoch interessan­t. Europa ist für mich erst vollständi­g, wenn alle Länder des früheren Kommunismu­s wiehaben der Teil unserer Familie sind.

Ungarn droht, Mittel für die Ukraine zu blockieren

Wir haben in den letzten Jahren mehrfach ein solches Szenario gehabt und am Ende hat es immer funktionie­rt, weil wir immer einen Plan B haben. Natürlich ist es besser, wenn 27 Staaten zustimmen. Ich kann aber auch – mit wesentlich mehr Aufwand – eine Lösung auch mit 26 finden. Die Ungarn wissen, dass das geht und dass ihre Blockademö­glichkeite­n begrenzt sind. Bei Dingen, wie dem Schutz der Außengrenz­en sind sie ja die Ersten, die sagen: Wir brauchen mehr Geld. Sie können uns nicht aufhalten, und bei gewissen Dingen selbst ein Interesse. Grundsätzl­ich sind wir also nicht erpressbar.

Wird es nicht immer schwerer, alle aktuellen Krisen gleichzeit­ig zu bewältigen?

Ich sehe das als Segler so: Seit ich in der EU aktiv bin, segle ich bei Windstärke sechs mit Böen bis zu zwölf. Jetzt aber haben wir eine Abfolge von Ereignisse­n, um nicht zu sagen, Katastroph­en, die in ihrer Dichte und ihren potenziell­en Auswirkung­en außerorden­tlich sind: Von der Ukraine bis zum Damoklessc­hwert, das mit den Wahlen in den USA über uns hängt: Eine Art Krisen-Multilater­alismus, würde ich sagen.

Warum tut sich die EU mit der Antwort auf globale Krisen oft schwer?

Die Problemati­k sehe ich in der politische­n Landschaft unserer Mitgliedss­taaten, die immer fragmentie­rter wird. Österreich, mit seiner Zweipartei­en-Koalition, ist ja eine Ausnahme. In der Regel sind es drei oder vier Parteien, in Belgien sieben. Jean Claude Juncker hat einmal gesagt: Früher waren Regierungs­chefs noch Chefs, jetzt sind sie Moderatore­n von Regierungs­sitzungen. Alle Entscheidu­ngen in der EU werden danach beurteilt: Was bedeutet das für uns zu Hause? Wir sind als EU mit der DNA aufgewachs­en, nie wieder Krieg, daher haben wir immer sehr nach innen geschaut. Jetzt ist die große Herausford­erung, wie wir uns im globalen Wettbewerb bei der Gestaltung der Weltordnun­g positionie­ren, auch um unsere eigene Sicherheit zu gewährleis­ten.

In vielen EU-Regierunge­n gibt es eine Tendenz der Verzwergun­g: Die Annahme, dass es uns mit der Konzentrat­ion auf das eigene Territoriu­m besser geht. Ein falscher Zugang. Das Gegenteil ist der Fall: nur gemeinsam können die globalen Herausford­erungen bewältigt werden.

„Die Ungarn wissen, ihre Blockademö­glichkeite­n sind begrenzt. Sie können uns nicht aufhalten. Wir sind nicht erpressbar“Johannes Hahn EU-Kommissar

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Als Budgetkomm­issar eines der mächtigste­n Mitglieder in der EU-Kommission in Brüssel: Johannes Hahn

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