Antibiotika aus Kundl statt China
Sandoz nahm neue Penicillin-Anlage in Betrieb
Der Schweizer Pharmakonzern Sandoz macht seinen Tiroler Standort in Kundl zur Penicillin-Hochburg Europas. Mit der am Freitag feierlich eröffneten neuen Wirkstoff-Produktionsanlage soll die Versorgung mit Antibiotika in Europa deutlich verbessert und die Rohstoff-Abhängigkeit von Asien verringert werden. Penicilline sind die weltweit führende Kategorie von Antibiotika, Sandoz hält hier einen Weltmarkt-Anteil von 60 Prozent.
Die um 150 Millionen Euro errichtete neue Anlage wurde mit 50 Millionen Euro vom Steuerzahler (45 Millionen Bund, 5 Millionen Land Tirol) subventioniert. Erst im Sommer gab die EU-Kommission ihr Okay für die 2020 beschlossene staatliche Beihilfe. Zuvor drohte der Pharmakonzern damit, aus Kostengründen die Penicillin-Fertigung aus Tirol abzuziehen.
Konkret wurde mit dem Investment nun die Wirkstoff (Amoxicillin)-Produktion aus Spanien nach Tirol verlagert und zwei hochmoderne Produktionslinien errichtet. Die Vollinbetriebnahme ist für Anfang 2024 geplant, 60 zusätzliche Arbeitsplätze sollen entstehen.
Alles aus einer Hand
Kundl ist damit der einzige vollintegrierte Penicillin-Produktionsstandort in Europa, wo vom Wirkstoff bis zur Tablette alles an einem Standort erledigt wird. Für die Herstellung von Penicillin werden die Pilze, aus denen der Wirkstoff Amoxicillin gewonnen wird, in großen Fermentern mit einer Zuckerlösung gefüttert. „Der Pilz ist unser wichtigster Mitarbeiter, den hegen und pflegen wir und versorgen ihn mit Strom, der für ganz Innsbruck ausreichen würde“, gab Hannes Wörner, Österreich-Chef von Sandoz, Einblick in den Produktionsprozess. Der Zucker stammt aus Österreich. Nach der Fermentation erfolgt die Synthese in zwei Feststoffreaktoren. In Kundl wird dabei auf chemische Lösungsmittel verzichtet, stattdessen auf natürliche Enzyme gesetzt. Schließlich erfolgt noch die Fertigformproduktion in Tabletten oder Suspensionen.
„Die Penicillin-Produktion in Tirol zählt zur kritischen Infrastruktur und ist somit von strategisch wichtiger Bedeutung“, rechtfertigte Wirtschaftsminister Martin Kocher die staatliche Beihilfe. Gleichzeitig zeige die Investition, dass Österreich als Standort weiter attraktiv sei. Kocher übte aber auch leise Kritik an der EU, dass die Genehmigung der Subvention zwei Jahre gedauert habe. „Das muss viel schneller gehen.“Er werde sich in Brüssel für raschere Genehmigungsverfahren einsetzen.
„Kein Billiglohnland“
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle verwies in seiner Rede auf die 75-jährige Tradition des Standorts und bot dem Sandoz-Konzern an, gemeinsam die Energiewende „anzupacken“. Zugleich fügte er hinzu: „Wir werden aber nicht anbieten, dass Tirol ein Billiglohnland wird.“
Rund 200 Millionen Packungen Penicillin verlassen Kundl jährlich. Bis Ende 2024 sollten es 240 Millionen sein. Damit könnte man theoretisch zwar ganz Westeuropa versorgen, doch die Tabletten und Suspensionen werden in mehr als 100 Länder exportiert und können nicht so einfach umgeleitet werden. Antibiotika-Engpässe in Europa, wie es sie im vorigen Winter gegeben habe, seien auch weiter möglich, meint Wörner. Für den kommenden Winter könne er noch keine Entwarnung geben. „Der Markt ist sehr nervös, es sollte aber besser werden als im Vorjahr.“Grund für die Engpässe sei, dass es nur noch wenige Antibiotika-Hersteller gebe und daher von Problemen in den Lieferketten, etwa beim Verpackungsmaterial, alle betroffen seien.
Von einer Bevorratung von bestimmten Wirkstoffen, wie es die Regierung nun plant, halten die SandozManager wenig. Wenn jedes EU-Land Lager anlege, würde das erst recht zu Engpässen bei den Arzneien führen.