„Hier gibt es Rückenwind statt Gegenwind“
613.300 Österreicher leben derzeit im Ausland. Unter ihnen auch Andrea Alexa Schnitzler Sekyra, die im Getty Forschungsinstitut in Los Angeles arbeitet und seit über 26 Jahren dort lebt
Wien, 18 Uhr. Draußen regnet es seit Stunden. Auf dem Bildschirm zeichnet sich jedoch ein ganz anderes Bild, als Andrea Alexa Schnitzler Sekyra vom anderen Ende der Welt den VideoAnruf entgegennimmt. Denn in Kalifornien strahlt die Morgensonne. Seit über 26 Jahren lebt Sekyra, die Leiterin des GettyScholars-Program, in Los Angeles. Und ist dabei nur eine von vielen: Laut dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten leben derzeit etwa 39.000 Österreicher in den USA und sehen sich mit anderen Sprachen, Kulturen und vor allem anderen Arbeitsstrukturen konfrontiert. Wie es ist, dort zu arbeiten und was es dabei zu bedenken gibt, fragt der KURIER.
KURIER: Wie kam es zur Entscheidung, in die USA zu gehen?
Andrea Alexa Schnitzler Sekyra: Mein mittlerweile verstorbener Mann war Austro-Amerikaner und sein Vater hat an der UCLA in Kalifornien unterrichtet. Ich war mit meinem Studium fertig und habe ohnehin schon ein Bein im Ausland gehabt und traute mich deswegen auch, das zweite Bein auf einen anderen Kontinent zu stellen.
Was haben Sie davor gemacht?
Ich habe davor unter anderem in Salzburg Kunstgeschichte studiert und promoviert. Meine Arbeit habe ich mit meiner kleinen Firma und Projekten selbst erfunden. Es war ungewöhnlich, hat aber ganz gut funktioniert. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich nach Amerika übersiedelt bin, habe ich ein Großprojekt in Südkorea betreut.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Sehr viel Bürokratie. Ich betreue ein internationales Stipendiatsprogramm für das Getty Forschungsinstitut. Wir sind wie die intellektuelle Maschine des gesamten Getty. Bezogen auf ein Jahresthema bewerben sich Wissenschafter aus der ganzen Welt. Wir erhalten bis zu 600 Bewerbungen und ich wähle mit zwei Komitees rund 25 Scholars aus.
Arbeitet es sich anders in Los Angeles?
In Europa arbeitet man, um ein gutes Leben zu haben. In Amerika gibt es den American Dream. Also den alten Traum, dass man durch harte Arbeit Multimillionär wird. Diesen Traum habe ich nie geteilt, weil man mit Kunstgeschichte nicht reich wird, aber das Arbeitsumfeld wird dadurch spürbar beeinflusst. In Amerika muss man sich darauf einstellen, dass man viel Einsatz zeigen muss, wenn man irgendwo hingelangen will.
Woran mussten Sie sich in den USA erst gewöhnen?
Das Umgewöhnen war schwierig. In Österreich hat man eine wunderbare, sehr nahe Kultur. Hier ist sie eher von Autos geprägt. Zu Beginn dachte ich mir: Was habe ich mir da nur angetan? In Wien steht man zum Beispiel mitten im Leben und kann schnell eintauchen. In
L.A. ist das nicht so einfach. Hier findet man eher über die Arbeit und Projekte Anschluss.
Was kann man von den Amerikanern lernen?
Spannend ist ihre Motivation. Wenn man hier mit einer Idee ankommt, sagen die Menschen fast immer: „Tolle Idee! Mach das!“In Österreich hört man eher ein „Das geht nicht. Das ist zu kompliziert“. Dort gibt es Gegenwind und hier Rückenwind.
Woran liegt das?
Ich kann nur für mein Institut sprechen, aber der positive Widerhall kommt zum Teil von der Finanzierung. Viele Kulturinstitutionen werden nämlich eigenfinanziert. Somit hat man mehr Spielraum.
Wie schafft man es, bei all dem Rückenwind auf dem Boden der Realität zu bleiben?
Die Arbeit erdet. Man kommt selbst schnell darauf, dass es nicht ganz so leicht ist. Es steckt immerhin sehr viel Mühe hinter all diesen Projekten.
Was raten Sie Personen, die mit dem Gedanken spielen, ins Ausland zu ziehen?
Man muss Abenteuerlust, Durchhaltevermögen und Experimentierfreude mitbringen. Und darf sich nicht abschrecken lassen. Dazu braucht es ein Stück Verrücktheit. Am besten zieht man mit offenen, aber kritischen Augen los.
Planen Sie zurück nach Österreich zu ziehen?
Wenn ich mich für einen Wohnort entscheiden müsste, wäre es Österreich. Von außen sieht vieles ähnlich aus. Aber wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass das soziale Netz und die Einbettung in das kulturelle Leben in Europa wesentlich besser ist. Amerika ist ein großes Experiment und immer noch dabei, sich zu etablieren. Ich bin mit Freuden und Abenteuerlust weggegangen und komme mit der gleichen Freude wieder zurück. Obwohl: Wenn ich übermorgen ein spannendes Projekt in Asien angeboten bekommen sollte, packe ich sofort meine Koffer.