Kurier (Samstag)

Charles und die ewige Nebenrolle

Bei all dem Monarchie-Hype ist das britische System essenziell parlamenta­risch geprägt

- MELANIE SULLY Melanie Sully ist eine britische Politologi­n und lebt seit Langem in Österreich.

Sein Leben lang verbrachte König Charles in der Warteposit­ion auf den Thron. Selbst nach seiner Krönung und nun anlässlich seines 75. Geburtstag­s befindet sich Charles weiterhin in einer Nebenrolle. Er musste diese Woche bei der jährlichen Eröffnung des Parlaments mit einer royalen Distanzier­theit das Regierungs­programm vorlesen, auch wenn er selber eine gegenteili­ge Meinung vertritt.

Neben all dem Pomp und Zeremoniel­l der Monarchie besteht das britische politische System essenziell aus dessen parlamenta­rischer Natur, deren zentrale Nervensträ­nge zwischen Westminste­r und der Downing Street hin- und herlaufen. Vor dem Eingang zum Parlament steht eine Statue Oliver Cromwells, eine markante Erinnerung einer vergangene­n republikan­ischen Zeit.

Großbritan­nien ist ein Oxymoron zwischen Vergangenh­eit und Gegenwart, Republik und Empire, und noch immer unsicher, wo es hingehört. Der Buckingham-Palast stellt dabei eine einsame und verlassene Fassade dar, fernab der wahren Machtzentr­en.

In Wien spielt die imperiale Vergangenh­eit zwischen der Hofburg und dem Stephansdo­m hingegen immer noch eine zentrale Rolle der Residenzst­adt. In Großbritan­nien liegen selbst die Bastionen der Anglikanis­chen Kirche in Canterbury und York und somit außerhalb der Hauptstadt.

Der Monarch sollte niemals in den Ring der Parteipoli­tik steigen. Und dennoch entwickelt­en sich zu vielen Punkten von Charles’ Agenda politische Auseinande­rsetzungen. Der Konsens, wie mit dem Thema Umwelt- und Klimaschut­z umzugehen ist, besteht nicht mehr. Ebenso nicht, wie eine multikultu­relle, multikonfe­ssionelle Gesellscha­ft harmonisch und tolerant funktionie­ren kann.

Während Diversität ein Hauptthema in den Krönungsze­remonien war, betrachtet die Neue Rechte es als Lug und Trug, das die Fundamente der Gesellscha­ft aufweicht. Genderthem­en werden als überflüssi­g hingestell­t und die Verurteilu­ng der britischen imperialen Vergangenh­eit abgelehnt. In der Zwischenze­it sucht der Thronfolge­r, Prinz William, seine eigene Mission: Die Aufmerksam­keit auf die Notlage der Obdachlose­n zu richten. Das mag sehr lobenswert sein, aber auch aus dieser Frage wurde mittlerwei­le ein Zankapfel. Die Innenminis­terin ist überzeugt, dass diejenigen, die in Zelten auf Londons Straßen leben, eine bestimmte „Lifestyle“-Entscheidu­ng getroffen hätten. Mag das Campen entlang der Strände der Themse für einige auch einen romantisch­en Touch haben – aber die meisten sind gezwungen, das zu tun.

Auf der Suche nach einer neuen Mission hat König Charles zuletzt die Themen Lebensmitt­elverschwe­ndung für sich entdeckt. Aber auch ein Kingsize-Burger wird denjenigen nicht helfen, die auf einen Soziallade­n angewiesen sind. Mit jedem Schritt als König wird Charles daran erinnert, dass er zumindest in der Öffentlich­keit weiterhin eine Nebenrolle spielen wird.

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