VIEL PARK STATT VIEL PARKPLATZ
Noch wird ungebremst zubetoniert. Doch zum Beispiel in Tulln ist das Thema „Entsiegelung“nicht nur in den Köpfen, sondern auch schon in der Praxis angekommen.
Über 93 Prozent der Österreicher „macht es glücklich, in der Natur zu sein“besagt eine aktuelle Umfrage*. Natur wird zunehmend auch in der Stadt entdeckt und urbanes Grün hoch geschätzt. Ein Pilot-Beispiel dafür liefert gerade die niederösterreichische Stadtgemeinde Tulln. Dort hatte der Gemeinderat im Frühjahr 2022 beschlossen, den über 8.000 m2 großen Nibelungenplatz an der Donaulände, der bislang nur als Großparkplatz für 211 Fahrzeuge genutzt worden war, umzugestalten. In einem Bürgerbeteiligungsprozess mit abschließender Volksbefragung entschied sich die Mehrheit der Tullner für jenes Konzept, bei dem die meisten PkwAbstellplätze gestrichen und die größte Fläche entsiegelt wird.
Das Ergebnis könnte Signalwirkung für andere Gemeinden haben, Handlungsbedarf besteht. Österreich ist weiterhin Europameister im Bodenverbrauch. Es wird verbaut und versiegelt, das heißt, der Boden wasser- und luftundurchlässig gemacht, täglich im Ausmaß von 16 Fußballfeldern. Wer durchs Land fährt, kennt die Gewerbe- und Verkaufsflächen, die am Rande der Ortschaften, auf der „grünen Wiese“, mit den zugehörigen asphaltierten Parkplätzen und Kreisverkehren entstanden sind. Und das, während die Ortszentren leer stehen und einer Revitalisierung bedürften. Dabei geht es nicht nur um den Verlust von Lebensqualität und Wirtschaftskraft. Der heurige Sommer hat erneut vor Augen geführt, wie schnell sich Betonflächen in Hitzeinseln verwandeln können und welche Kraft das Wasser im Fall von Starkniederschlägen hat, weil es nicht versickern kann. Hingegen vermag ein einziger unversiegelter, gesunder Kubikmeter Erde 200 bis 400 Liter Wasser zu speichern. Noch dazu nimmt der Boden Schadstoffe auf, reinigt das Trinkwasser und speichert CO2. In der Schweiz ist es daher und aus Gründen der Ernährungssicherheit bereits verboten, landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu verbauen.
Für das „Entsiegelungsprojekt“in der Tullner Innenstadt ist nach einem Wettbewerbsverfahren jetzt „D/D Landschaftsplanung“zuständig. 2024 soll die Umgestaltung fertig sein, mit dann nur mehr 6 % versiegeltem Boden und 56 Autostellplätzen. 90 % des Regenwassers, das zuvor in die Kanalisation ging, kann dann im Boden versickern und die neugepflanzten Bäume versorgen. Alle diese Maßnahmen haben direkten Einfluss auf die ganze Stadt, weil durch das viele Grün ein Wohlfühl- und Mikroklima entsteht, das wiederum, da man gerne herkommt, den stationären Handel und den Tourismus belebt.
Es ist ein Park im Entstehen, wie er in die Stadt passt, die für ihre Gartenschau („Die Garten Tulln“) bekannt ist. Stolz ist Bürgermeister Peter Eisenschenk, dass die Bevölkerung das Projekt in so hohem Maß mitträgt. „In der Bewusstseinsbildung für die immense ökologische Bedeutung des Bodens ist viel weitergegangen“, sagt Eisenschenk, „das hat Fahrt aufgenommen durch die Medien und das Engagement beispielsweise auch der Hagelversicherung“. Diese muss längst nicht mehr nur Hagel, sondern auch andere Naturkatastrophen abdecken, die mit dem Bodenverbrauch und dem Klimawandel zusammenhängen.
Für die Entsiegelung des Bodens treten aber auch engagierte Bürger mit punktuellen Aktionen auf. So zum Beispiel Studentinnen und Studenten anlässlich des 150jährigen Jubiläums der Universität für Bodenkultur in Wien, die mit Hammer und Meißel eine asphaltierte Parkplatzfläche freilegten, die dann begrünt werden sollte. Oder im „Bildungsgarten Kranzgasse“im dicht verbauten Wien-Fünfhaus, wo es spezielle Workshops zum Erleben und Erforschen von Stadtnatur gibt.
„Es wurde so umgebaut, dass man die verbliebenen 56 Parkplätze später auch relativ leicht streichen könnte.“Bürgermeister Peter Eisenschenk, Stadtgemeinde Tulln
Information www.tulln.at/nibelungenplatz www.wienersukzession.at * Quelle: Marketagent im Auftrag von Arche Guntrams