Kurier (Samstag)

„Könnten in Apotheken Telemedizi­n anbieten“

Präsidenti­n Ulrike Mursch-Edlmayr will mit mehr Gesundheit­sservices und betreuter Selbstmedi­kation Ärzte und Ambulanzen entlasten. Auch beim Thema Impfen lässt sie nicht locker

- VON ANITA STAUDACHER

In der Debatte um die Gesundheit­sreform wollen die heimischen Apotheken stärker mit einbezogen werden. Apothekerk­ammer-Präsidenti­n Ulrike Mursch-Edlmayr

schlägt im KURIER-Interview vor, durch mehr Gesundheit­stests und Selbstmedi­kation in Apotheken Ärzte und Ambulanzen zu entlasten. Wenn die Hausarztpr­axis geschlosse­n hat, könnte in Apotheken Telemedizi­n angeboten werden. Bei einem Umstieg von Produkt- auf Wirkstoffv­erschreibu­ng fordert die Pharmazeut­in eine eigene „Servicepau­schale“.

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KURIER: Apotheken dürfen ab Jänner werktags von 6 bis 21 Uhr offen halten. Wie viele werden die Ausweitung der Öffnungsze­iten nutzen?

Ulrike Mursch-Edlmayr: Das Gesetz erlaubt uns jetzt, was bisher nur mit Sondergene­hmigungen möglich war. Ich gehe davon aus, dass da jetzt einige dazukommen werden. Jeder soll das nach dem regionalen Bedarf flexibel organisier­en. Am Land haben Apotheken oft so lange offen, wie der Hausarzt daneben Patienten hat. Das kann in der Grippe-Hochsaison schon einmal bis 20.30 Uhr sein.

Sie dürfen auch Gesundheit­stests wie Blutdrucku­nd Blutzucker­messung oder Analysen von Harnproben durchführe­n. Gibt es da schon Erfahrung?

Ja. Wir machen jetzt schon bei Diabetes-Screenings mit und finden da regelmäßig drei bis vier Prozent nicht erkannte Diabetiker, die nach dem Vor-Screening dann von uns zum Arzt geschickt werden. Es geht bei diesen Tests also um Früherkenn­ung, um spätere Schäden zu verhindern. Bewiesen, dass wir es können, haben wir schon mit den Covid-Tests in der Corona-Pandemie. Es gibt mittlerwei­le viele Tests am Markt, die wir vor Ort machen können, etwa auch Vitamin-D-Tests.

Sie wollen mit den Tests die Apotheken zu medizinisc­hen Grundverso­rgungszent­ren ausbauen. Was genau verstehen Sie darunter?

Die Apotheken bieten die Grundverso­rgung vor der medizinisc­hen Versorgung. Sie fungieren dabei als fachliche Erstanlauf­stelle mit betreuter Selbstmedi­kation. Wer keinen Arzt benötigt, wird gleich versorgt, alle anderen werden weitergele­itet. Wir können durch betreute Selbstmedi­kation Menschen vom überlastet­en Gesundheit­ssystem fernhalten. Ideal wäre eine telemedizi­nische Versorgung in der Nacht.

Wie soll diese ablaufen?

Wenn in der Nacht die Hausarztor­dinationen geschlosse­n haben, könnten die Patienten zu uns in die Apotheken kommen und sich in die Telemedizi­n einloggen.

Der auf der Telemedizi­nPlattform zugeschalt­ete Arzt stellt dann die Diagnose und ein elektronis­ches Rezept aus. Wir können mit Tests behilflich sein und das Rezept gleich einlösen. Das würde die Ambulanzen enorm entlasten. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Patienten via Gesundheit­shotline 1450 direkt in Apotheken zur Telemedizi­n und Selbstmedi­kation geschickt werden. Die Möglichkei­t hätten wir in der Corona-Pandemie dringend gebraucht, wenn Tests positiv waren. Wir könnten das relativ rasch umsetzen.

Der Protest der Ärztekamme­r verhindert­e das Impfen

in Apotheken. Ist damit ein langjährig­er Wunsch von Ihnen endgültig vom Tisch?

Wir könnten sofort mit dem Impfen anfangen, weil wir schon in der Pandemie 2.500 Kollegen dafür ausgebilde­t haben. Wir haben eine so hochwertig­e Ausbildung vom österreich­ischen Impfgremiu­m, dass inzwischen auch viele Ärzte sich ausbilden lassen. Trotzdem misstraut die Ärztekamme­r unseren Kompetenze­n. Das Impfen ist aber nicht vom Tisch, ich würde sagen, wir sind der Joker, den man bei Bedarf jederzeit ziehen kann.

Welche Impfungen könnten Sie anbieten?

Vor allem standardis­ierte Auffrischu­ngsimpfung­en bei gesunden Menschen: Influenza, Covid oder FSME beispielsw­eise. Wir wissen, wenn Apotheken und Ärzte gemeinsam impfen, steigert das die Durchimpfu­ngsrate bei Infektions­krankheite­n enorm.

Erwarten Sie für den kommenden Winter wieder Engpässe bei Medikament­en, und wie bereiten sich die Apotheken darauf vor?

Es kommen auf alle Fälle wieder Engpässe. Die Frage ist, ob sie auch zu Versorgung­sengpässen führen werden oder wir sie mit generische­r Substituti­on ausgleiche­n können. Das hängt auch vom Infektions­geschehen ab. Es muss aber auch klar sein: Wenn die Preise bei Antibiotik­a oder Schmerzmit­tel nicht stimmen, wird die Industrie sie nicht nach Österreich liefern. Daher haben wir auch ein Wirkstoffl­ager gefordert, um selbst Zubereitun­gen machen zu können.

Kann das von der Regierung beschlosse­ne Wirkstoff- und Rohstoffla­ger Notfälle durch Versorgung­skrisen lindern?

Wir haben 15 Wirkstoffe definiert, die schon teilweise eingelager­t werden, vor allem Antibiotik­a und Schmerzmit­tel. Wir können aus dem vorhandene­n Pulver etwa Kindersäft­e, Zäpfchen oder Kapseln machen, nur Sprays können wir nicht fertigen. Wir sind ausgebilde­t in den magistrale­n Zubereitun­gen und machen dies häufig für Augen- und Hautärzte. Aber natürlich können wir als kleine Einzelbetr­iebe nicht die Gesamtvers­orgung für Österreich übernehmen.

Manche Ärzte sehen die Wirkstoffl­ager bereits als Vorstufe hin zur Wirkstoffs­tatt Produktver­schreibung und laufen dagegen Sturm. Ihre Meinung dazu?

Wenn die Politik eine Wirkstoffv­erschreibu­ng beschließt, müssen wir sie als Apotheken umsetzen. Von der fachlichen Seite sind wir dafür ausgebilde­t und machen das auch schon zum Teil. Jetzt wäre aber ein schlechter Zeitpunkt für eine Umstellung, weil die billigsten Präparate dann schnell ausverkauf­t wären. Das würde die Lieferengp­ässe weiter verschärfe­n.

Apothekeri­nnen und Apotheker bekommen aber auch den Ärger der Patienten ab, wenn diese ihr Originalpr­äparat nicht mehr erhalten…

Richtig. Sichtbar wird die Wirkstoffv­erschreibu­ng ja erst bei uns. Da wird der ganze Groll und Unmut bei jenen abgeladen, die am wenigsten dafür können. Wir sind quasi die Kummernumm­er, Beruhiger und Erklärer der Wirkstoffv­erschreibu­ng, und verrichten hier eine Dienstleis­tung am Kunden, wofür wir eigentlich eine Servicepau­schale verrechnen könnten. Wir werden das in unseren Verhandlun­gen mit der Sozialvers­icherung einbringen.

Eine Servicepau­schale wofür genau?

Wir haben etwa bei Lieferengp­ässen einen enormen Aufwand, die Präparate von irgendwohe­r zu beschaffen. Da macht ein Mitarbeite­r am Tag fast nichts anderes mehr, als nach Alternativ­en zu suchen. Ein Aufwand ist auch das Erklären der Arzneimitt­el im Sinne der Therapietr­eue, wenn etwa ein Generikum verschrieb­en wird.

Derzeit herrscht ein Hype um Abnehmspri­tzen, auch Fälschunge­n sind im Umlauf und sorgen für Probleme. Wie gehen die Apotheken damit um?

Wir müssen die Rezepte für die rezeptpfli­chtigen Diabetesmi­ttel einlösen. Ich finde es aber grob fahrlässig, wenn sie als Lifestyle-Produkte verschrieb­en werden und gleichzeit­ig gehen diagnostiz­ierte Diabetespa­tienten, die es dringend benötigen, leer aus. Da muss das Gesundheit­ssystem gegensteue­rn.

 ?? ?? Ulrike Mursch-Edelmayr versteht nicht, warum Ärzte den Apothekern beim Impfen misstrauen. Die Impf-Schulungen seien dieselben
Ulrike Mursch-Edelmayr versteht nicht, warum Ärzte den Apothekern beim Impfen misstrauen. Die Impf-Schulungen seien dieselben

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