„Wir hatten gehofft, dass das überwunden ist“
Die jüdische Publizistin Danielle Spera und der Wiener Dompfarrer Toni Faber haben ein Gespräch in Buchform über die Beziehungen zwischen Judentum und Christentum vorgelegt
KURIER: Was war das Überraschendste für Sie bei Ihrem Gespräch?
Danielle Spera: Wir haben viel voneinander gelernt, es war ein sehr angenehmer Diskurs. Die Menschen wissen ja sehr wenig darüber, wie die Religionen entstanden sind, wie vor allem das Christentum entstanden ist. Mit dieser Frage war ich im Jüdischen Museum immer wieder konfrontiert – auch von Menschen, bei denen ich es nicht angenommen hätte, weil die so gebildet sind, Akademiker …
Faber: Der Dialog selbst öffnet immer wieder neue Türen. Man denkt, man weiß ohnedies einiges, um sich dann auf ein Gegenüber wie Danielle Spera einzulassen. Dann ist man neu durch die konkreten Erfahrungen dieses Gegenübers herausgefordert, dem muss man sich stellen. Als ich zum ersten Mal mit 20 in Israel war, habe ich gedacht, das Judentum ist so eine Art museale Weise von Religiosität, die eben durch das Christentum abgelöst worden sei und die man hier in Israel noch besichtigen könnte. Diese Sichtweise wurde dann völlig zunichtegemacht. Und jetzt, im Gespräch mit Danielle Spera, habe ich neuerlich gelernt, dass wir Sprechweisen immer neu überdenken müssen.
Vielen fehlen ja heute die Voraussetzungen, um die Fragen, die Sie in dem Buch besprechen, die Unterschiede zwischen Christentum und Judentum überhaupt verstehen zu können … Spera: Ich glaube, es ist wichtiger denn je, dass wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, denn wir sehen ja, was aktuell passiert. Das Problem ist auch, dass man viel zu wenig voneinander weiß, und dass man sich gar nicht die Mühe macht, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn wir etwa an die Geschichte Israels denken: Wie ist das Land entstanden? Wenn heute Leute sagen, Juden hätten 1948 das Land besetzt, dann frage ich mich schon, wo da die Bildung geblieben ist. Wir wollten in unserem Gespräch all diese Fragen herunterbrechen. Ich bin ja immer wieder verwundert, dass in einem katholischen Land wie Österreich viele Menschen gar nicht mehr wissen, was zu Weihnachten oder zu Ostern eigentlich gefeiert wird. Im Judentum begehen wir die Feiertage immer im Bewusstsein dessen, was dahintersteht. Wir erinnern uns dabei an die Ereignisse der jüdischen Geschichte.
Faber: Das Wissen um die Wurzeln unseres Glaubens verdunstet zunehmend. Es ist auch in vielen Köpfen noch die alte „Substitutionstheorie“drinnen: dass also die Kirche das Volk Israel abgelöst, ersetzt hätte und der „neue“Bund den „alten“mit Israel obsolet gemacht hätte. Ich habe selbst zu Beginn meines Studiums noch so gedacht und bin erst später draufgekommen: der „alte“Bund Gottes mit „seinem“Volk Israel gilt nach wie vor. Wir, die Kirche,
sind als Reis auf einem Stamm eingepfropft und dürfen als jüngere Geschwister teilhaben an den Verheißungen Gottes: Ich gehe mit euch durch alle Zeiten bis zum Ende der Welt. Daraus erwächst eine große Bereitschaft, in dieser großen Familie eine gemeinsame Verantwortung wahrzunehmen. Dazu gehört auch, das Gemeinsame zu sehen, aber auch das, was uns trennt, vor allem die Person Jesu betreffend.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen dem christlichen Antijudaismus, dem rechten Antisemitismus und dem zuletzt im Fokus stehenden muslimischen Antisemitismus?
Spera: Unterm Strich, muss ich leider sagen, bleibt alles gleich: es richtet sich immer gegen Juden, ob wir das nun Antijudaismus, -zionismus oder -semitismus nennen.
Wir hatten gehofft, dass das überwunden ist – das war ein ganz großer Irrtum und hinterlässt uns erschüttert. Es ist eine tiefe Wunde, wie dieser 7. Oktober eine tiefe Wunde ist, die nie verheilen wird. Faber: Wir müssen die antijudaistischen Traditionen im Christentum benennen und offenlegen. Die katholische Kirche hat sich vor 60 Jahren dazu bekannt, jede Form von Antijudaismus oder -semitismus zu brandmarken und klar zu sagen: das hat nichts mit unserem christlichen Glauben zu tun. Langfassung auf KURIER.at
„… dass man viel zu wenig voneinander weiß und sich gar nicht die Mühe macht, sich damit auseinanderzusetzen“Danielle Spera Publizistin
„Wir müssen die antijudaistischen Traditionen im Christentum benennen und offenlegen“Toni Faber Dompfarrer