Kurier (Samstag)

Krieg der Bilder

Bei den Kämpfen im und um das al-Schifa-Krankenhau­s in Gaza dokumentie­ren beide Seiten das Grauen. Und verbreiten jene Fotos und Videos, die ihnen nutzen. Was wir wissen – und was nicht

- VON J. ARENDS UND N. JESSEN

Es sind Bilder, die einen nicht unberührt lassen können. Ein Vater, der schreiend die Leiche seiner Tochter aus den Trümmern trägt; eine halb nackte Teenagerin, leblos auf der Ladefläche eines Geländewag­ens abgeladen; ein kleines Mädchen mit amputierte­m Arm; ein Haufen verbrannte­r Kinderleic­hen. Der Krieg macht das Unvorstell­bare plötzlich vorstellba­r, lässt es Wirklichke­it werden.

Doch Krieg ist immer auch ein Konflikt um Informatio­nen, um die Deutungsho­heit. Vor allem der aktuelle Krieg im Nahen Osten wird wie kein zweiter in den sozialen Medien ausgetrage­n. Während die Kämpfe im Gazastreif­en toben, der von der Außenwelt abgeschnit­ten ist, kaum noch Journalist­en vor Ort sind, verbreitet sowohl die Terrororga­nisation Hamas auf ihren Telegram-Kanälen als auch die israelisch­e Armee auf X (ehem. Twitter) täglich Bilder und Videos von den Gräueln, die die jeweils andere Seite verursacht haben soll. Viel zu oft werden diese Darstellun­gen ohne die nötige Einordnung online verbreitet, obwohl sie nicht überprüft werden können.

Hamas-Bunker

Nirgendwo zeigt sich das Dilemma so deutlich wie in diesen Tagen, in denen im alSchifa-Krankenhau­s gekämpft wird, dem größten in Gaza. Israel zufolge verbirgt sich unter dem Gebäude eines der größten militärisc­hen Kommandoze­ntren der Hamas. Das Spital werde also als „ziviles Schutzschi­ld“genutzt. Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu hat US-Medien gegenüber den Fund einer unterirdis­chen Hamas-Kommandoze­ntrale im zweiten Untergesch­oss bestätigt.

Zum Beweis sollen Fotos von gefundenen Hamas-Waffen dienen. Ob die Bilder echt oder gestellt sind, kann niemand überprüfen. Auch eine BBC-Journalist­in nicht, die am

Mittwoch sichere Bereiche im al-Schifa besichtige­n durfte.

Selbiges gilt für die Frage, ob die Hamas das Krankenhau­s wirklich für ihre Zwecke missbrauch­t. Immerhin: Norbert Jessen, der für den KURIER

aus Israel berichtet, besuchte das al-Schifa im Jahr 2004 selbst – und bekam dabei auch einen großräumig­en Bunker zu Gesicht. Mitarbeite­r erklärten ihm damals, dass dort vor Kurzem noch

Führungspe­rsönlichke­iten der Hamas Unterschlu­pf gesucht hatten. Von einer „Befehlszen­trale“war zwar nicht die Rede; doch wo sich Befehlsträ­ger aufhalten, ist die Austeilung von Befehlen mehr als zu erwarten.

Fakt ist: Zivilisten leiden

Zweifellos ist dagegen, dass die Zivilisten im al-Schifa am meisten unter den Gefechten leiden. Die wenigen verblieben­en Fotografen und Journalist­en – allesamt von der französisc­hen Nachrichte­nagentur AFP – zeigen Bilder des Elends, das sich in dem Spital abspielt. Verletzte, darunter etliche Kinder, liegen auf provisoris­chen Decken nebeneinan­der auf dem Boden, Strom gebe es ebenso wenig wie einen Nachschub an Wasser, Nahrung oder Medizin.

Die israelisch­e Armee dementiert das vehement. Sie verbreitet seit Tagen Bilder von Hilfsliefe­rungen: Stapeln von Pappkarton­s, auf denen in riesigen Buchstaben gut lesbar „Medizin“oder „Babynahrun­g“steht. „Die Versorgung von Zivilisten bleibt eine unserer Prioritäte­n“, heißt es. Allerdings kann niemand aktuell bestätigen, ob die Kartons auch wirklich enthalten, womit sie beschrifte­t sind.

Viele Fragen bleiben bis heute ungeklärt: Wurden bei den Hamas-Massakern am 7. Oktober wirklich 40 Neugeboren­e geköpft? Starben die meisten Hamas-Geiseln wirklich schon durch israelisch­e Luftangrif­fe? Und wer feuerte die Rakete ab, die fast 500 Menschen im al-Ahli-Krankenhau­s getötet haben soll?

 ?? ?? Oben: Einem palästinen­sischen Mädchen wurde im al-Schifa-Krankenhau­s die rechte Hand amputiert. Unten: Israels Armee verbreitet Bilder von Hilfsliefe­rungen – als Signal, dass Israel Zivilisten versorge
Oben: Einem palästinen­sischen Mädchen wurde im al-Schifa-Krankenhau­s die rechte Hand amputiert. Unten: Israels Armee verbreitet Bilder von Hilfsliefe­rungen – als Signal, dass Israel Zivilisten versorge
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Oben: Israels Präsident Isaac Herzog erklärt, eine arabische Ausgabe von „Mein Kampf“sei in einem Kinderzimm­er in Gaza gefunden worden. Rechts: Israels Armee präsentier­t Waffenfund­e im al-SchifaKran­kenhaus
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