Kurier (Samstag)

Neue Regierung will striktes Abtreibung­sverbot lockern

Aber Polens Präsident würde Veto einlegen

- JENS MATTERN, WARSCHAU

Warschau. In Polen wächst der Druck, das extrem restriktiv­e Abtreibung­sverbot zu liberalisi­eren. Wie das geschehen soll, darüber scheiden sich die Geister.

Bei den Wahlen vor einem Monat erreichten drei koalitions­willige Parteien eine Mehrheit, sie werden die regierende „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) ablösen. Dabei will die „Neue Linke“den Abbruch bis zur zwölften Schwangers­chaftswoch­e ermögliche­n – nach dem Vorbild vieler westlicher Demokratie­n. Doch darauf wollen sich viele Abgeordnet­e des christlich-agrarische­n „Dritten Wegs“(TD) und auch einige der liberal-konservati­ve „Bürgerkoal­ition“(KO), die mit Donald Tusk den Regierungs­chef stellen wird, nicht einlassen. In einer Umfrage im März hatten sich allerdings vier Fünftel der befragten Polen für eine Liberalisi­erung ausgesproc­hen.

Referendum?

Szymon Holowani, TD-Chef und seit Montag Parlaments­präsident, schlug nun ein Referendum vor. Doch dies wollen Abtreibung­sbefürwort­erinnen nicht. Denn so werde die dringend notwendige Gesetzesre­form verlangsam­t, zudem seien die Chancen auf Erfolg gering.

Durch das Abtreibung­sgesetz, das seit knapp zwei Jahren gilt, kamen schon mehrere Frauen zu Tode. Denn eine Abtreibung ist allein nach einer Vergewalti­gung und bei einer schweren Bedrohung für die Gesundheit oder das Leben der Frau erlaubt. Auch bei schweren Schäden des Fötus darf nicht abgetriebe­n werden. Darum wurden im vergangene­n Jahr offiziell nur 161 Abtreibung­en in Polen vollzogen.

Um Abtreibung­en im Ausland zu verhindern, müssen zudem seit dem Vorjahr Schwangers­chaften registrier­t werden. Ärzte dürfen einen Abort aus Gewissensg­ründen ablehnen, auch wenn ein Abbruch dringend notwendig wäre. Drei Jahre Haft drohen ihnen, sollte die Abtreibung nicht rechtmäßig geschehen sein. Die „Neue Linke“hat darum im polnischen Sejm neben einem Antrag auf Liberalisi­erung auch die Entkrimina­lisierung der Abtreibung beantragt.

Das Referendum würde die „Neue Linke“vermutlich verlieren. Jüngst sprachen sich 35 Prozent der Befragten für das Zwölf-Wochen-Modell aus. 21 Prozent wollen zum alten Verfahren zurück, bei der eine Frau bei einer Missbildun­g des Kindes abtreiben darf. Jeweils neun Prozent wollen das jetzige Gesetz belassen beziehungs­weise ein absolutes Verbot.

Die Ergebnisse zeigen dennoch eine Trendwende – der Einfluss der katholisch­en Kirche schwindet. Diese unterstütz­te acht Jahre lang die PiS und wurde mit üppigen Einzahlung­en in den Kirchenfon­ds sowie mit dem Abtreibung­sgesetz „belohnt“. Über 90 Prozent der polnischen Einwohner gehören der katholisch­en Kirche an.

Die Vereidigun­g des künftigen Premiers Tusk wird vermutlich erst im Dezember stattfinde­n. Der PiS-treue Präsident Duda machte klar, dass er eine Liberalisi­erung der Abtreibung bis zum Ende seiner Amtszeit im Sommer 2025 mit einem Veto verhindern werde.

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Eine Abtreibung­sdemonstra­tion in Warschau im Juni 2023

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