Kurier (Samstag)

Die Geister, die man nicht aufgeben kann

Da sein Vater Schlosshau­ptmann war, wuchs Heinz Glaser in Schönbrunn auf. Es waren Jahre, die ihn prägen sollten: Ein Gespräch über Krieg und Frieden – und eine geheimnisv­olle Statue auf dem Dach

- VON JOHANNA KREID

Geisterhaf­te Gestalten, unerklärli­che Geräusche, verschwund­ene Gegenständ­e: Viel Rätselhaft­es soll sich in alten Gemäuern zutragen.

Rätselhaft ist auch die Geschichte einer Statue auf dem Dach des Schlosses Schönbrunn: Ursprüngli­ch auf der östlichen Seite angebracht, steht sie heute ein ganzes Stück weiter westlich. Wie sie dort hingekomme­n ist? Wie so oft ist der Grund dafür wohl nicht unheimlich, sondern unheimlich menschlich: eine Schlampere­i, eine falsche Platzierun­g nach einer Restaurier­ung.

Spannender ist, wen die Figur darstellt: Sie ist Schlosshau­ptmann Josef Glaser nachempfun­den. Doch wer war Glaser? Sein Sohn, Heinz Glaser, 92 Jahre alt und sehr an Geschichte interessie­rt („Meine Wohnung gleicht einem Museum“), gab dem KURIER einen Einblick in die bewegte Familienge­schichte.

Der alte Schlosshau­ptmann

Josef Glaser arbeitete in den 1930erJahr­en in der Burghauptm­annschaft Wien, später wurde er nach Schönbrunn versetzt, wo er zum Schlosshau­ptmann befördert werden sollte. Von 1940 bis 1945 lebte die Familie Glaser daher in einer Wohnung im Schloss. Ab 1946 verantwort­ete Glaser dann den Wiederaufb­au des im Weltkrieg teils zerstörten Schlosses.

Schönbrunn habe ihn jedenfalls sein ganzes Leben lang nicht losgelasse­n, erzählt Sohn Heinz Glaser.

Ein Leben im Schloss? Das sei in der Praxis weit weniger romantisch als in der Theorie: „Die Kamine waren uralt, das Heizen war schwierig. Einkäufe musste wir weit von Meidling oder Hietzing herschlepp­en.“

Doch das bestimmend­e Thema seiner Kindheit war der Krieg. Die Wohnung der Glasers lag etwas versteckt im zweiten Stock des Hauptgebäu­des,

was damals von Vorteil war: „Ich war ein, zwei Mal bei der Hitlerjuge­nd, weil man musste, aber das war nicht meines. Das Exerzieren, die markigen Gesänge.“Als er nicht mehr hinging, suchten ihn die Nazis – fanden aber in den dunklen Gängen mit vielen Türen ohne Schilder die Wohnung der Glasers nicht.

Das Schloss hatte zudem keinen Keller. „Es gab nur ein kleines Gangl, das man ‚Luftschutz­raum‘ genannt hat, wo wir uns versteckt haben. Meine Mutter hat es ‚Mausefalle‘ genannt“, erzählt Glaser. „Ein Historiker hat uns damals zwar versichert, wir bräuchten keine Angst zu haben: Nicht einmal Napoleon habe eine Tapete in Schönbrunn zerkratzt – da werde doch niemand das historisch­e Schloss bombardier­en.“Doch im Februar 1945 traf eine Bombe das Hauptgebäu­de, auch die Wohnung der Glasers wurde zerstört.

„Wir waren praktisch Bettler“, sagt er. Es sind die Geister dieser menschenge­machten Gräuel, die Glaser nie losgelasse­n haben. Er habe versucht, seine Erlebnisse aufzuschre­iben, auch das habe nicht geholfen.

Wobei das Leben in Schönbrunn auch schöne Seiten hatte, die ihn prägten, etwa der riesige Park: „Wir Kinder haben bei der Römischen Ruine Wasserprob­en genommen und unter dem Mikroskop Wasserflöh­e und Mikroben entdeckt. Und wir durften in den Tiergarten.“Infolge dessen entwickelt­e er großes Interesse an Tieren und Pflanzen, Besuche im Schlossthe­ater weckten die Liebe zur Hochkultur. „Hätte ich alles studiert, was mich interessie­rt – ich hätte mein ganzes Leben als Student verbracht“, sagt Glaser und lacht. Beruflich landete er im Bauwesen, befasste sich mit Bauakustik, Lärm- und Sonnenschu­tz. Privat bereiste er die Welt, er ist breit gefächert interessie­rt, spricht druckreif.

Das neue Zuhause

Nach Kriegsende übersiedel­te die Familie ins Schloss Hetzendorf – wo Glaser heute, mehr als 75 Jahre später, übrigens immer noch wohnt. Ab 1946 hatte sein Vater als Schlosshau­ptmann eben den Wiederauf bau zu verantwort­en; auch das eine Herausford­erung. Es habe etwa Vorwürfe gegeben, er hätte die Position aufgrund einer Nähe zu den Nazis bekommen. „Das Gegenteil war der Fall“, betont Glaser. „Mein Vater war nicht einmal kriegsdien­stfähig.“

Auch nicht alle Medien waren Josef Glaser wohlgesonn­en: „Die Arbeiter-Zeitung war dagegen, dass habsburgis­ches Erbe mit Steuergeld wiederaufg­ebaut wird und hat teils untergriff­ig über ihn berichtet. Nach dem Motto: Der Schlosshau­ptmann tut nix und kostet viel.“Dabei habe der Vater hart gearbeitet.

Und was hat es mit der Steinfigur auf sich? „Der Bildhauer hat sie ungefragt so gestaltet, weil er meinem Vater eine Freude machen wollte.“Der aber habe sich furchtbar aufgeregt und Zeitungsar­tikel befürchtet, die ihm Eitelkeit unterstell­en. „Die Figur wurde heimlich bei Nacht und Nebel aufgestell­t. Jahrzehnte­lang hat zum Glück keiner etwas darüber gewusst“, so Glaser.

Ja, Schönbrunn habe ihn nie losgelasse­n, zieht Glaser Resümee. Wie eben auch der Krieg, auf den er doch immer wieder zu sprechen kommt. Auch als der wohl wichtigste Satz des Interviews fällt: „Wenn Sie Glück haben, erleben Sie keinen.“

„Die Kamine waren uralt, das Heizen war schwierig. Einkäufe mussten wir weit herschlepp­en“

Heinz Glaser über das Leben im Schloss Schönbrunn

„Die Figur wurde heimlich bei Nacht und Nebel aufgestell­t. Jahrzehnte hat keiner etwas darüber gewusst“Heinz Glaser über ein Denkmal, das sein Vater gar nicht wollte

 ?? ?? Das Haus seiner Kindheit: Die Glasers lebten in einer Wohnung im zweiten Stock in Schönbrunn
Das Haus seiner Kindheit: Die Glasers lebten in einer Wohnung im zweiten Stock in Schönbrunn
 ?? ?? Glaser, heute 92, war als Kind in Schlosspar­k und Tierpark unterwegs. Hier erwachte sein Interesse an der Natur
Glaser, heute 92, war als Kind in Schlosspar­k und Tierpark unterwegs. Hier erwachte sein Interesse an der Natur
 ?? ?? Diese Figur ist dem einstigen Schlosshau­ptmann nachempfun­den
Diese Figur ist dem einstigen Schlosshau­ptmann nachempfun­den

Newspapers in German

Newspapers from Austria